https://netzpolitik.org/2017/zusammengefasst-die-entscheidung-zur-vorratsdatenspeicherung-und-ihre-folgen/
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen sagt klipp und klar: Die deutsche Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht. Doch nur der Provider Spacenet ist durch die Entscheidung von der Speicherpflicht ausgenommen. Was bedeutet das für alle anderen?
Anna Biselli23.06.2017
Speichern oder nicht speichern – das ist hier die Frage. CC-BY 2.0 Frédéric BISSON
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat entschieden, dass der Münchner Provider Spacenet zunächst keine Vorratsdaten speichern muss. Spacenet hat gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) geklagt und gleichzeitig einen Antrag an das Verwaltungsgericht Köln gestellt, bis zur endgültigen Entscheidung nicht speichern zu müssen. Die Speicherpflicht beginnt ab Juli, und Spacenet hätte in die VDS-Infrastruktur investieren müssen, obwohl das Unternehmen davon ausgeht, dass die VDS bald durch Gerichte gekippt werden könnte.
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Doch was bedeutet das Urteil für alle anderen Provider? Und was können Kunden dafür tun, dass auch ihr Telekommunikationsanbieter keine Vorratsdaten speichern wird?
Entscheidung gilt unmittelbar nur für Spacenet
Da Spacenet den Antrag gestellt hat und ein Verwaltungsgericht nur im Einzelfall entscheiden kann, gilt die Entscheidung des OVG NRW unmittelbar nur für dieses Unternehmen. Das heißt, wenn ein anderes Unternehmen ebenfalls von der Speicherpflicht ausgenommen werden will, muss es selbst einen Antrag an das Verwaltungsgericht Köln stellen. Das Gericht ist für Angelegenheiten zuständig, bei denen die Bundesnetzagentur (BNetzA) involviert ist. Die BNetzA hat den Anforderungskatalog für die VDS erstellt und ist dafür zuständig, die Sicherheitskonzepte der Provider zu prüfen und Bußgelder zu verhängen, wenn diese ihrer Speicherpflicht nicht nachkommen.
Die Rechtslage ist für alle gleich, daher wird das VG Köln bei Anträgen anderer Provider ebenso wie nun das OVG entscheiden. Die Provider müssen sich also keine Sorgen machen, dass ihre Eilanträge abgelehnt werden. Jetzt geht es darum, die Provider dazu zu bewegen, solche Eilanträge zu stellen – quasi ein „opt out“ aus der Vorratsdatenspeicherung. Dafür braucht es Druck von den Kunden, also von euch. Ihr könnt euch an eure Provider wenden und sie dazu auffordern, es Spacenet gleichzutun. Jens Kubieziel hat dazu bereits ein Musterschreiben erstellt. Je mehr Provider sich beteiligen, desto größer wird der Druck auf die BNetzA. Wenn dieser plötzlich einige hundert Verfahren winken, ist denkbar, dass sie die Speicherpflicht erst einmal für alle aussetzt.
Wie stehen die Chancen, dass die VDS abgeschafft wird?
Das endgültige Urteil des VG Köln steht noch aus. Aber da – wie oben erwähnt – die Verwaltungsgerichte nur über Einzelfälle entscheiden können, liegt es am Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das deutsche Gesetz zu kippen. Dort liegen mehrere Verfassungsbeschwerden vor, unter anderem von der Grundrechtsorganisation digitalcourage zusammen mit anderen Personen.
Das OVG NRW hat unmissverständlich formuliert, dass die deutsche VDS „mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar“ sei. Das Gericht begründet das damit, dass die Speicherpflicht pauschal gelten solle und der Europäische Gerichtshof genau das im Dezember ausgeschlossen hatte. Nicht nur das OVG ist dieser Ansicht: Zum gleichen Ergebnis kamen der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, die Bundesdatenschutzbeauftragte und viele andere.
Kurzum: Außer der Bundesregierung glaubt kaum jemand an den Bestand des Gesetzes.
Was, wenn Provider doch speichern wollen?
Einige Provider haben bereits angekündigt, sich der Speicherpflicht nicht widersetzen zu wollen. Sie werden ab dem 1. Juli speichern, wenn sie es nicht schon längst freiwillig tun. Dazu gehören Vodafone und Telefónica. Vodafone und Telefónica wollen das Urteil des BVerfG abwarten, erklärten die Unternehmen golem.de. Nachvollziehbar ist das nicht, denn mit einem kurzen Antrag an das VG Köln könnten sie die Verpflichtungen aussetzen lassen – auf das Bundesverfassungsgericht müssten sie nicht warten.
Die Deutsche Telekom wartet derweil auf den Ausgang des eigenen Verfahrens. Sie hatte im Mai ebenfalls am VG Köln geklagt, um bei WLANs und im Mobilfunknetz keine IP-Adressen speichern zu müssen. Das koste Millionen und sei darüber hinaus sinnlos. Da sich viele Nutzer eine öffentliche IP-Adresse teilen, könne man den gespeicherten Adressen keine Einzelpersonen zuordnen. Es sei denn, man würde genaue Nutzerprofile anlegen, was laut Telekom keine Rechtsgrundlage habe.
Mit der Speicherung verschwenden die Provider Geld.
Wenn ein Provider speichert, obwohl er das durch einen Antrag ans Verwaltungsgericht umgehen könnte, beeinflusst das nicht nur die Privatsphäre seiner Kunden – es kostet auch Geld. Diesen Punkt betonte unser Mitautor Ulf Buermeyer gegenüber dem Handelsblatt: Schon allein aus Compliance-Gründen sollten die Unternehmen einen Eilantrag ans Verwaltungsgericht stellen, „um die enormen Kosten der Vorratsdatenspeicherung zu vermeiden“. Vielleicht ist das auch der Zeitpunkt, sich erneut mit der Auswahl des eigenen Providers zu beschäftigen.
Über den Autor/ die Autorin
anna
Anna kommt aus der Informatik und hat gemerkt, dass sie der politische Kontext nicht loslässt. Deshalb hat sie erst einmal bei netzpolitik.org Praktikum gemacht, um dann dabeizubleiben. Am liebsten beschäftigt sie sich mit Datenschutz und spielt den Technik-Erklärbär. Man erreicht Anna per Telefon unter +49-30-92105-984 oder unter anna@netzpolitik.org – am liebsten verschlüsselt [325C 6992 DCD3 1167 D9FA 9A57 1873 5033 A249 AE26]
Veröffentlicht 23.06.2017 17:21 Uhr
Zuletzt aktualisiert 23.06.2017 17:43 Uhr