ÖVP, FPÖ und Neos wollten jene Regelung, die das Haushaltsdefizit begrenzt, in der Verfassung verankern. Die roten und grünen Bundesräte legten ein Veto ein
Abermals lässt der Bundesrat mit einem Veto aufhorchen. Die Entscheidung schimmert in Rot-Grün.
Wien – Der Bundesrat hat sich abermals in den Fokus gerückt: Nachdem die Länderkammer im Frühjahr in einem historischen Veto die Biomasseregelung gekippt hatte, brachte sie am Donnerstag die sogenannte Schuldenbremse zu Fall. SPÖ und Grüne verhinderten die von ÖVP, FPÖ und Neos gewünschte Verankerung jener Regelung in der Verfassung, die das Haushaltsdefizit begrenzt. Die roten und grünen Bundesräte verweigerten dem Plan ihre Zustimmung, womit die notwendige Verfassungsmehrheit nicht zustande kam. Zuvor hatten sie die Schuldenbremse als „Investitionsbremse“ und „Zukunftsbremse“ bezeichnet. ÖVP und FPÖ sahen das wenig überraschend anders und warnten vor neuen Schulden.
Neue Fahrzeuge für die BVG: Würden ihre Finanzierung in der Landesschuldenbremse einbezogen, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf zukünftige finanzielle Handlungsspielräume.CC BY-NC 2.0,Andreas Levers / flickr
Die deutsche Schuldenbremse wird ebenso wie die europäischen Schuldenregeln zunehmend in Frage gestellt; von deutschen wie von internationalen Ökonomen. Denn eine Dekade nach Verankerung des Verschuldungsverbots im Grundgesetz werden die Kosten immer offensichtlicher: Während die Logik roter und schwarzer Nullen die Haushaltspolitik bestimmt, verfällt die öffentliche Infrastruktur und nötige Zukunftsinvestitionen werden allenfalls unzureichend getätigt. Das ist schlecht für den sozialen Zusammenhalt und die Chancengerechtigkeit im Land und erst recht schlecht für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Es ist Common Sense, dass wohlüberlegte öffentliche Investitionen insbesondere in Bildung, Digitalisierung, ökologische Modernisierung und eine funktionsfähige Daseinsvorsorge die Chancengleichheit verbessern, Ungleichheit vermindern und zugleich durch die Stärkung der Wachstumspotenziale die Schuldenlastquote stabil Weiterlesen Berliner Schuldenbremse darf nicht zur Investitionsbremse werden!
Axel Troost und Jörg Cezanne begrüßen die neue Debatte über die »schwarze Null« im Grundgesetz
Foto: Imago Images/Schoening
Vor zehn Jahren verankerte die damalige Regierungskoalition aus Union und SPD mit Unterstützung durch Grüne und FDP die Schuldenbremse im Grundgesetz. Von Gewerkschaften, progressiven Ökonomen, Sozialverbänden und der LINKEN wurde sie heftig kritisiert: wirtschaftspolitisch kontraproduktiv, ein Hindernis für notwendige Zukunftsinvestitionen und eine Bedrohung des Sozialstaats. Zwar sind begrenzte antizyklische Spielräume vorgesehen, aber erst die nächste Rezession wird zeigen, ob und wie stark die Schuldenbremse die Krise vertiefen und verlängern wird.
Das gilt auch für die Sozialausgaben. Schwarz-Rot hat bislang trotz Schuldenbremse kaum weitere Einschnitte in Sozialleistungen vorgenommen, weil die gute Konjunktur es nicht erforderlich machte und – noch viel wichtiger -, weil dank der niedrigen Zinsen Weiterlesen Jetzt keine falschen Signale
Die Schuldenbremse mindert den politischen Handlungsspielraum und entbehrt einer ökonomischen Grundlage
27.03.2019 / Michael Hüther / iw Policy Paper 3/19
Zusammenfassung
Aus historischer Perspektive war die Einführung der Schuldenbremse vor 10 Jahren begründet worden. Im Vergleich zu Anfang der 60er Jahre hatte sich die Schuldenstandquote trotz Konsolidierungsbemühungen unaufhaltsam von rund 20 auf 80 Prozent mehr als vervierfacht. Zudem war aufgrund eines Zinses für Staatsanleihen oberhalb der Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts anzunehmen, dass öffentliche Kreditfinanzierung eine intergenerative Umverteilung zulasten künftiger Generationen zur Folge hatte.
Auf den ersten Blick scheint diese Art der finanziellen Selbstbindung erfolgreich zu sein, denn die Schuldenstandquote näherte sich in den vergangenen Jahren der Maastricht-Grenze von 60 Prozent an. Ob die Schuldenbremse durch verstärkte Konsolidierungsbemühungen tatsächlich dazu beigetragen hat, ist jedoch fraglich, denn die Staatskonsumquote ist heute auf gleichem Niveau wie zu ihrer Einführung. Vielmehr erscheinen die sinkende Zinsenlast, ein Anstieg des realen Steueraufkommens je Einwohner sowie der beachtliche Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre für fiskalische Spielräume gesorgt zu haben.
Mit dem günstigen Zinsumfeld haben sich die Bedingungen für die öffentliche Verschuldung seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 grundlegend geändert. Eine intergenerative Umverteilung zulasten künftiger Generationen ist deshalb derzeit und absehbar nicht mehr gegeben. Angesichts eines unübersehbar großen Investitionsbedarfs mindert die Schuldenbremse den politischen Handlungsspielraum und entbehrt einer ökonomischen Grundlage. Im Sinne der „Goldenen Regel der Finanzpolitik“ sollte sie daher innovations- und wachstumspolitisch umgesetzt werden.
Eine Möglichkeit hierzu bestünde in der Auslagerung kreditfinanzierter gesamtstaatlicher Investitionen in einen bundesstaatlichen Vermögenshaushalt. Zudem sollte eine bessere Finanzausstattung der Gemeinden den kommunalen Investitionsrückstand adressieren. Außerhalb der Investitionsausgaben bliebe es bei der Schuldenbremse, d.h. beim grundsätzlichen Verbot der Kreditfinanzierung mit konjunkturpolitisch symmetrischer Öffnung.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung S.3
1 Einleitung S.4
2 Rückblick: Staatsfinanzen und Konsolidierungspolitik ohne Schuldenbremse S.5
3 Ökonomische Überlegungen zu einer Schuldenbegrenzung S.13
4 Beibehaltung, Abschaffung oder Öffnung der Schuldenbremse? S.21
Der IW-Chef gilt als Kritiker der Schuldenbremse. Nun legt Michael
Hüther mit einem 32-seitigen Positionspapier nach. Das gefällt nicht
allen.
Michael Hüther
Michael Hüther ist Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.
(Foto: imago/Metodi Popow)
BerlinEs war ein überraschender Vorstoß, den
Michael Hüther vor einem Monat machte: Der Direktor des arbeitgebernahen
Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kritisierte die Schuldenbremse. Seitdem ist eine hitzige Diskussion über Sinn und Unsinn der vor zehn Jahren im Grundgesetz verankerten Regel entbrannt. Nun legt Hüther mit einem 32-seitigen Positionspapier nach.
Zunächst
widersprechen die IW-Experten der Einschätzung, dass die Erfolge bei
der Haushaltskonsolidierung in den vergangenen Jahren maßgeblich der
Schuldenbremse zu verdanken seien. Die Überschüsse im Staatshaushalt
würden „weniger an der Finanzpolitik selbst“ liegen, heißt es in dem
Papier, „als vielmehr an der Lage auf dem Arbeitsmarkt“.
Der
Beschäftigungsaufbau und die steigenden Einkommen hätten zu einer
Zunahme des Steueraufkommens geführt. Während so die Staatseinnahmen
stiegen, gab es Entlastung bei den Ausgaben: Die Zinsen sind auf einem
historischen Tief. So konnten der frühere Finanzminister Wolfgang
Schäuble (CDU) und nun sein Nachfolger Olaf Scholz (SPD) Überschüsse einfahren, ohne sparen zu müssen.
Die
Schuldenbremse habe – anders als von ihren Befürwortern erhofft – die
„sozialpolitischen Expansionsmaßnahmen“ nicht gebremst. Dafür werde eine
„investitionsorientierte Verschuldung im Gesamtstaat jedoch
verhindert“, so die Kritik der IW-Ökonomen. Und Hüther fürchtet, dass
sich die Lage noch verschlimmern wird. Schließlich werden die
Sozialausgaben schon aufgrund der Demografie steigen – und damit die
Zuschüsse aus dem Haushalt.
Gleichzeitig muss Deutschlandmehr für die Verteidigung und die EU ausgeben.
Zudem ruft die Wirtschaft nach einer Steuerreform. „Es darf nicht sein,
dass wegen dieser Aufgaben wie in den vergangenen Jahren die
Investitionen vernachlässigt werden“, sagt Hüther.
Die
IW-Ökonomen rechnen außerdem damit, dass die Zinsen weiter niedrig
bleiben und unter den Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts liegen.
Deshalb würden sich wachstumsfördernde Investitionen bezahlt machen, so
das Argument. Und sie seien gerecht: „Es gibt keinen Grund, die
gegenwärtige Generation zu benachteiligen.“
Allerdings ist auch
das IW nicht dafür, die Schuldenbremse einfach abzuschaffen. Genauso
wenig wollen die Ökonomen zu der alten Grundgesetzregel zurückkehren,
dass die Defizite die Investitionsausgaben nicht übersteigen dürfen.
Denn das hat zu Abgrenzungsschwierigkeiten im Haushalt geführt.
Stattdessen schlägt das IW vor, Investitionsausgaben für die staatliche
Infrastruktur in einen „bundesstaatlichen Vermögenshaushalt“
auszulagern, der Kredite aufnehmen darf.
„Dieser
hätte die Aufgabe, die notwendige öffentliche Infrastruktur durch den
Bund und die Länder bereitzustellen, und zwar nachhaltig und gemäß den
jeweiligen technischen Standards“, heißt es im Papier. „Für diese
Ausgaben ist wegen positiver Kapitalstockeffekte eine Kreditfinanzierung
– im Rahmen der Maastricht-Kriterien – zulässig“, schreiben die
IW-Ökonomen. Die Finanzierung durch Bundesanleihen sichere die beste
Bonität.
„Zumindest so viel investieren, dass Wertverluste kompensiert werden“
Über das ganze Konstrukt soll ein Investitions- und Innovationsrat
wachen, ähnlich wie der heute schon existierende Stabilitätsrat von Bund
und Ländern. Für alle anderen Budgets von Bund und Ländern soll in
normalen Konjunkturlagen „ein Neuverschuldungsverbot gelten“. Mit dem
Konzept nimmt die Debatte um eine Reform der Schuldenbremse Fahrt auf.
Auch
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW), hält die Schuldenregel für falsch
konstruiert: In konjunkturell guten Zeiten lasse sie zu viel Spielraum
zu, in schlechten sei sie zu streng. Allerdings hält er nichts davon,
Investitionen bei der Schuldenbremse auszunehmen. Er fordert stattdessen
eine Investitionspflicht: „Der Staat muss das öffentliche Vermögen für
künftige Generationen sichern und muss zumindest so viel investieren,
dass Wertverluste kompensiert werden.“
Andere Ökonomen sind der
Ansicht, dass die Diskussion in die falsche Richtung läuft. „An der
Schuldenbremse sind bisher keine öffentlichen Investitionen
gescheitert“, sagt der Wirtschaftsweise Lars Feld. Deren Rückgang habe
schon vorher eingesetzt. Feld hält auch nichts von dem IW-Plan und
verweist auf Erfahrungen bei den Kommunen in Ländern wie
Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz.
„Ein kreditfinanzierter
Vermögenshaushalt für Investitionen hat weder die Überschuldung solcher
Kommunen verhindert noch zu mehr Investitionen geführt“, sagt Feld.
Eigentlich gehe es den Kritikern der Schuldenbremse vor allem um eines:
„Mehr Schulden machen.“ Im Bundesfinanzministerium betrachtet man die
Debatte der Ökonomen mit Interesse, aber politischem Sicherheitsabstand.
An der Schuldenbremse will man nicht rütteln. Scholz hat sich gerade
erst wieder zur schwarzen Null bekannt – und damit zur Übererfüllung der
Schuldenregel.
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Planlos, kurzfristig, neoliberal: Die Finanzpolitik der letzten 15 Jahre hat dem Gemeinwohl, den Bürgern und künftigen Generationen geschadet. Und sie wird die öffentliche Hand noch teuer zu stehen kommen. Plädoyer für eine Kurswende. Ein Gastbeitrag.
1. „Ein Gespenst geht um…“
Die Anlehnung an den ersten Satz des Kommunistischen Manifestes ist bei der Beschreibung der Austeritätspolitik in Europa und der Bundesrepublik fehl am Platze, denn bei ihr handelt es sich nicht um eine Schimäre, sondern sie ist handfeste Realität.
Keine zwölf Monate mehr und es wird endgültig „scharf gestellt“, was seit einem Jahrzehnt in der Bundesrepublik Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen von Haushalts- und FinanzpolitikerInnen, aber auch ÖkonomInnen ist: die so genannte Schuldenbremse.
Die „Schuldenbremse“ (Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz) legt fest, dass Bund und Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen müssen. Die Regelung gilt für den Bund seit dem Jahr 2015, für die Länder ab dem 1.1.2020. Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 GG räumt den Ländern das Recht ein, die nähere Ausgestaltung der Schuldenregel im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen vorzunehmen, um die Auswirkungen konjunktureller Schwankungen berücksichtigen zu können und so Handlungsspielräume in Zeiten von Wirtschaftskrisen zu erhalten. Hierfür ist die Einführung eines Konjunkturbereinigungsverfahrens notwendig, welches wiederum eine landesgesetzliche Grundlage erfordert.
Die von Bund und Ländern vereinbarte Infrastrukturgesellschaft stößt auf Kritik. Sie macht Schulden außerhalb des Etats möglich. Soll sie zudem mehr Privatisierung im Straßenbau ermöglichen?
Will sich die Bundesregierung an der Schuldenbremse und der Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien vorbeimogeln? Es ist vorerst nur ein Verdacht. Aber die Formulierungen zur geplanten Infrastrukturgesellschaft des Bundes, auch Bundesautobahngesellschaft genannt, die sich im Beschluss zum Finanzausgleich und anderen Vorhaben von Bund und Ländern aus der Vorwoche finden, lassen die Einschätzung zu, dass der Verdacht nicht ganz unbegründet ist. Denn der Text lässt eine Hintertür offen, diese Gesellschaft zu privatisieren und sie auch fern der Kontrolle des Parlaments anzusiedeln.
In einem Gegengeschäft zur Zustimmung des Bundes zum Finanzausgleichsmodell der Länder akzeptierten die Ministerpräsidenten die seit längerem debattierte Gründung der Infrastrukturgesellschaft, ein Projekt von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Verkehrsminister der Länder waren von der Idee zwar wenig begeistert, aber kamen dem Bund im Frühjahr schon entgegen. Und nun haben die Ministerpräsidenten ihren Segen gegeben. In die Gesellschaft sollen die Autobahnen eingebracht werden und auch die Bundesstraßen, es sei denn, ein Land will diese weiterhin selber verwalten (also die Planung, den Bau und den Erhalt selber übernehmen). Die Bundesfernstraßen sind bisher im Rahmen der so genannten Auftragsverwaltung des Bundes in der Obhut der Länder, der Bund übernimmt die Kosten. Nun will der Bund selber ran – geplant ist, der Gesellschaft neben den Straßenbaumitteln aus dem Bundesetat auch die Einnahmen aus der Lkw-Maut zu überlassen. Künftig könnte, sollte eine Pkw-Maut kommen, auch dieses Geld an die Bundesgesellschaft fließen. Hintergrund ist, beim Straßenbau von der Steuer- auf eine Nutzerfinanzierung umzulenken.
Privatrechtlich organisiert
Im Bund Länder-Papier ist festgehalten, dass die Gesellschaft privatrechtlich organisiert wird, „unter staatlicher Regelung“. Weil es im Bundestag Vorbehalte gegen eine Privatisierung der Bundesfernstraßen gibt, wurde zusätzlich vereinbart, dass im Grundgesetz „das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen“ festgeschrieben wird. Entsprechend soll der Artikel 90 der Verfassung geändert werden. Doch es dürfte in den nächsten Wochen über diese Verfassungsänderung noch heftigen Streit geben. Denn einer Privatisierungspolitik ist keineswegs der Riegel vorgeschoben, und auch nicht der Möglichkeit, Schuldenpolitik vorbei am Bundeshaushalt und damit an den Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse und dem Maastricht-Vertrag der EU zu machen. Dafür müsste die Gesellschaft als öffentlich-rechtliche Institution, also als staatliche Einrichtung, gegründet werden, vor allem aber auch das Eigentum des Bundes an der Gesellschaft im Grundgesetz als „unveräußerlich“ festgeschrieben werden.
Der Grünen-Haushaltspolitiker Sven- Christian Kindler spricht von zwei „Privatisierungsfallen“ und wirft der Bundesregierung einen „üblen Trick“ vor. Werde nicht auch das Bundeseigentum an der Gesellschaft verfassungsfest gemacht, dann sei es möglich, „dass das Eigentum an dieser Gesellschaft trotzdem nach ein paar Jahren an private Investoren verkauft werden kann“, sagte Kindler dem Tagesspiegel. Zudem plane das Bundesfinanzministerium, „dass die Infrastrukturgesellschaft keine Staatsgarantie erhält und sich am Kapitalmarkt verschulden darf“. Das würde zu deutlich höheren Zinsen erfolgen als beim Bund, so Kindler. „Das wäre eine versteckte Privatisierung und ein Milliardengeschenk für Versicherungskonzerne und Großbanken.“ Der Grüne wirft Schäuble vor, die Schuldenbremse umgehen zu wollen.
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Auch künftig Kredite für Straßenbau
Kritik kommt auch von dem Rechtsprofessor Georg Hermes von der Universität Frankfurt am Main. Der vermutet als Motiv für das Vorgehen des Bundes, dass er Erhalt und Ausbau von Fernstraßen auch künftig in größerem Umfang über Kredite finanzieren will, ohne dass diese aber unter die Vorgaben der Maastricht-Kriterien fallen – also unter die Vorgabe, dass die jährliche Neuverschuldung nicht höher als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein darf und insgesamt 60 Prozent des BIP nicht überschreitet. Die deutsche Schuldenbremse ist noch strenger und schränkt die Verschuldungsmöglichkeit noch stärker ein. In einem Gutachten für das baden-württembergische Verkehrsministerium hat Hermes schon vor einiger Zeit (auf Basis eines ersten, informellen Formulierungsvorschlags für die Grundgesetzänderung) geurteilt, dass sich der Bund mit der Infrastrukturgesellschaft „sehr weitreichende Gestaltungs- und Privatisierungsbefugnisse“ einräume. „Denkbar ist, dass eine vom Bund betraute Gesellschaft die Aufgaben an Private etwa in Form von ÖPP-Gestaltungen weiter delegiert“, heißt es dort. ÖPP steht für öffentlich-private Partnerschaften. Laut Hermes wäre es auch möglich, dass der Bund die Planung, den Ausbau, den Betrieb und die Finanzierung von Straßenprojekten komplett an Privatfirmen überträgt, auch wenn rein rechtlich der Staat Eigentümer der Straßen bleibt. Kindler verweist auf das österreichische Beispiel: Die dortige Autobahngesellschaft Asfinag zeige, „welch hohes Verschuldungspotenzial solch eine Institution hat – außerhalb des regulären Haushalts“.
SPD-Fraktion hat Bedenken
Auch in der SPD-Bundestagsfraktion gibt es die Forderung, über die Formulierung im Bund-Länder-Papier hinauszugehen. „Wenn es zur Grundgesetzänderung kommen soll, muss der Eigentumsanspruch des Bundes an seinen Fernstraßen und der Infrastrukturgesellschaft fest verankert werden“, fordert der Verkehrspolitiker Sebastian Hartmann. Er will auch, dass die Gesellschaft staatlich ist, am besten als Anstalt öffentlichen Rechts. Das fordert auch Kindler. Bei einer privatrechtlichen Organisation „wäre die demokratische Kontrolle der Gesellschaft massiv eingeschränkt. Die Informationslage für den Bundestag wäre dann ähnlich miserabel wie jetzt bei der Deutschen Bahn.“ Auch der thüringische Ministerpräsident Ramelow (Linke) hat in einer Protokollerklärung zum Bund-Länder-Papier die grundgesetzliche Verankerung des Bundeseigentums der Gesellschaft gefordert und eine Prüfung verlangt, ob die Gesellschaft auch öffentlich-rechtlich organisiert werden kann. Die Länderchefs beraten sich dazu nochmals bei ihrem Treffen in der kommenden Woche in Rostock.
Zumindest Schäuble lehnt die weitergehende Grundgesetzänderung offenbar ab. Aus dem Finanzministerium hieß es am Donnerstag, man wolle eine Festschreibung des Bundeseigentums an der Gesellschaft nur „einfachgesetzlich“ – will heißen: eine Mehrheit des Bundestages könnte das ohne Zustimmung des Bundesrates jederzeit ändern. Das Verkehrsministerium teilte mit, es plane keine Möglichkeit zur Veräußerung von Anteilen an der Bundesautobahngesellschaft. Diese solle aber die Möglichkeit haben, „für einzelne Projekte im Rahmen der Wirtschaftlichkeit ÖPP-Verträge zu vergeben und Investoren daran zu beteiligen“. Die Infrastruktur bleibe im Eigentum des Bundes. „Eine Privatisierung der Bundesfernstraßen ist nicht vorgesehen.“ Und der Gesellschaft? Ein bisschen klarer äußerte sich das Gabriel-Ressort: Die konkrete Ausgestaltung der Einigung mit den Ländern werde nun beraten. „Die Position des Ministers dabei ist klar: Es wird weder eine Privatisierung von Straßen noch der Bundesfernstraßengesellschaft geben“, hieß es. Aber steht das dann auch im Grundgesetz?
Fratzscher-Kommission, Juncker-Plan, Schäuble-Plan: Die Vorschläge von konservativen und sozialdemokratischen Politikern, um endlich wieder Investitionen zu schaffen, nehmen zu. Dabei werden die Konstrukte, mit denen “Schuldenbremse” und “Fiskalpakt” faktisch umgangen und zugleich formell umgesetzt werden sollen, immer verwegener, riskanter und teurer. Man würde sich wünschen, die handelnden Personen hätten stattdessen den Mumm, endlich die eigenen Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Weiterlesen Die “Schuldenbremse” umsetzen, ohne die “Schuldenbremse” umzusetzen |