Carolin Emcke ist dagegen, Sascha Lobo ist dagegen, Jan Böhmermann ist dagegen und auch Lars Eidinger ist dagegen und vergießt ein paar Tränen. Sie sind gegen den Hass, die Wohlgesinnten. Nimmt man Marlon Grohn beim Wort, dient das vor allem den Wohlbetuchten. »Hass von oben, Hass von unten« heißt sein soeben erschienenes Büchlein, es ist nach »Kommunismus für Erwachsene« bereits das zweite. Und es ist nicht nur der Untertitel – »Klassenkampf im Internet« -, der die FAZ in ihrer Besprechung trotz »originellem Ansatz« hat schaudern lassen, sondern mehr noch die Mischung aus stilistischer wie inhaltlicher Wucht und unverblümtem Bolschewismus. Neben Lenin sind noch Hegel, Marx, Karl Kraus und Peter Hacks im Waffenschrank, schweres Geschütz also. Und mit dem geht er auf alte wie neue Medien los. Gefangene werden da keine gemacht, Grohns Polemik ist gnadenlos, weil sie die Umstände benennen will, in denen der Internetuser ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
Nun musste der berüchtigte Hass im Netz bereits dazu herhalten, dass man ein Gesetz gegen ihn erlässt. Es trägt den sperrigen Namen Netzwerkdurchsuchungsgesetz, wurde aber bereits als Anti-Hass-Novelle tituliert. So werden künftig beispielsweise beleidigende Äußerungen im Internet als Straftaten verfolgt – mit umfangreichen Befugnissen für die Strafverfolgungsbehörden. Grohn benennt ein paar Gründe, warum davon nichts zu halten ist. Es sind grob folgende: Erstens sollte faschistische Propaganda in Wort und Tat kaum verharmlosend »Hass« genannt werden. Zweitens betrifft das immer nur den »illegitimen« Hass, nicht aber beispielsweise jene Medien, die das zum Geschäftsmodell erhoben haben. Drittens liegen die Gründe der Rohheit, mit Brecht gesprochen, nicht in der Rohheit, sondern in den Geschäften, die ohne sie nicht betrieben werden können. Und viertens komme ein Verbot »negativer Gefühle« einer doppelten Enteignung gleich, in dem Sinne, dass denen, die nichts auf ihren Tellern haben, schon immer zuerst die Tischmanieren nahegelegt wurden, deren Nichteinhalten der Grund für die leeren Teller sei, nicht andersherum (was sich leicht sagt, wenn es der eigene nicht ist).
Ganz nebenher liefert Grohn nicht nur eine Theorie des Trolls, sondern auch ein paar deutlich urteilende Einblicke ins heutige Treiben der von den Tech-Konzernen organisierten Halböffentlichkeit der »sozialen Medien«. Mit ebenso deutlichen Worten über jene Linken, die sich der dortigen Gegen-den-Hass-Kampagne angeschlossen haben: »Die Linken haben sich zurückgezogen in ihresafe spaces, in ihre autonomen Bubbles, Flausch-Communitys, ihre sorgsam abgesteckten Nettigkeits-Zonen – und jene postlinken jammerlappigen Provokations-Hampelmänner vom Schlage der Ideologiekritiker willfahren diesem Bedürfnis bloß, indem sie ihre eigene geschlossene Anstaltsmoral kultivieren, die zur Kommunikation nicht mehr fähig ist.« So schreibt nur einer, der noch hassen kann und will. Oder auch gehasst werden möchte. Lässt man solche Spekulationen einmal beiseite, liegt die analytische Erkenntnis von Grohns Pamphlet darin, den Zusammenhang verschiedener Erscheinungen herzustellen. Für ihn gibt es nicht einerseits den bösen Hass und andererseits die gute Nettigkeit, sondern nur eine verkehrte Gesellschaft, die »negative Gefühle« produziert.
Dass Hass nicht einmal das Schlimmste an unserer Gesellschaft ist, dürfte wohl die tiefere Überzeugung von Grohn sein. Dass seine Ächtung gerade für Linke einer affektpolitischen Selbstentwaffnung gleichkommt, früher nannte man es Klassenhass, wohl auch. »Hass«, so schrieb Maxim Biller in einer seiner legendären »Tempo«- Kolumnen »Hundert Zeilen Hass« einmal, »bedeutet Wahrheit – und etwas mehr Ehrlichkeit. Hass, so wie ich ihn verstehe, hilft unterscheiden: zwischen Gut und Böse, Freund und Feind. Wer diese Unterscheidung nicht will, hat keine Moral und keine Prinzipien.« Bloß gegen den Hass, gegen die Spaltung der Gesellschaft, gegen den Verlust an »sozialem Zusammenhalt« zu sein, ist für Grohn nicht ausreichend. Und selbst der FAZ schwante dann, dass der Autor auf eine kommunistische Revolution hinauswill. Davon riet sie freilich dann doch ab.
Marlon Grohn: Hass von oben, Hass von unten. Klassenkampf im Internet. Das Neue Berlin, 176 S., br., 12 €.
Peter Hacks konnte sich die Abschaffung der Arbeitsteilung im Reich der Freiheit, verstanden als Abschaffung des Fachkönnens, nicht vorstellen. Darstellung der arbeitsteiligen sozialistischen Gesellschaft in Walter Womackas Mosaikfries »Unser Leben« (1964) am Haus des Lehrers in Berlin
Heinz Hamm ist Literaturwissenschaftler und forscht vor allem zu Goethe und Hacks. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle am 22. Mai 2019 über die erste Bühnenaufführung des »Faust«.
Am vergangenen Sonnabend fand in Berlin die 13. wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft statt. Sie stand unter dem Motto: »Unendlich nur ist der Zusammenhang« – Hacks und der Marxismus. Wir veröffentlichen an dieser Stelle mit seiner freundlichen Genehmigung den Vortrag von Heinz Hamm. Ausgewählte Referate werden im Hacks Jahrbuch 2021 veröffentlicht. (jW)
Im Bild des Kommunismus spielte von Anfang an die Aufhebung der Teilung der Arbeit eine entscheidende Rolle. Schon in den unveröffentlichten Texten aus den Jahren 1845 und 1846, in denen sich Marx und Engels mit Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer und Max Stirner auseinandersetzten, hieß »die Gesellschaft kommunistisch zu organisiren«¹, das Privateigentum aufzuheben und damit auch die Arbeitsteilung; denn »übrigens sind Theilung der Arbeit & Privateigentum identische Ausdrücke«.²
Morgens Jäger, abends Kritiker
Mit Sicherheit verstanden Marx und Engels darunter nicht das Ende jeglicher unterschiedlicher Tätigkeit. Gemeint war das Aufheben eines Zustands, in dem das Individuum »unter die Theilung der Arbeit subsumirt« ist und »durch sie vereinseitigt, verkrüppelt«³ wird: »Und endlich bietet uns die Theilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, daß solange die Menschen sich in der naturwüchsigen Gesellschaft befinden, solange also die Spaltung zwischen dem besondern & gemeinsamen Interessen existirt, solange die Thätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig getheilt ist, die eigne That des Menschen ihm zu einer fremden Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht. Sowie nämlich die Arbeit vertheilt zu werden anfängt, hat jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Thätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker, & muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Thätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt & und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu thun, Morgens zu jagen, Nachmittags zu fischen, Abends Viehzuchte zu treiben nach dem Essen zu kritisiren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.«⁴
Was Marx und Engels von der Aufhebung der Teilung der Arbeit im allgemeinen erwarteten, hatte für sie auch Gültigkeit für die künstlerische Arbeit im besonderen: »Die exklusive Konzentration des künstlerischen Talents in Einzelnen & seine damit zusammenhängende Unterdrückung in der großen Masse ist Folge der Theilung der Arbeit. (…) Bei einer kommunistischen Organisation der Gesellschaft fällt jedenfalls fort die Subsumtion des Künstlers unter die lokale & nationale Bornirtheit, die rein aus der Theilung der Arbeit hervorgeht, & die Subsumtion des Individuums unter eine bestimmte Kunst, sodaß es ausschließlich Maler, Bildhauer usw. ist, (…) In einer kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens Menschen, die unter Anderem auch malen.«⁵
Marx und Engels stellten dann 1848 im »Manifest der Kommunistischen Partei«klar, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft werden solle, keineswegs der persönliche Besitz zur Erhaltung des Lebens. Wirklich Neues zum Kommunismus kam erst 1874 in der Stellungnahme von Marx zum Entwurf des Vereinigungsprogramms des Gothaer Parteitags hinzu. In den nicht zur Veröffentlichung bestimmten »Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei«⁶kritisierte Marx die Forderungen des Entwurfs zur gerechten Verteilung, indem er gegenüberstellte, wie »innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Productionsmitteln gegründeten Gesellschaft« die Produzenten in der Verteilung der Produkte verfahren werden. Dabei wurde unvermittelt Überraschendes mitgeteilt. Auch im Kommunismus werde es am Anfang bei der Verteilung nicht gerecht zugehen, werde Ungleichheit nicht völlig beseitigt sein. Denn am Anfang »erhält der einzelne Producent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr giebt«. Die »ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter« würden damit zu ungleichen Anteilen am Konsumtionsfonds führen. Darüber hinaus könne sogar der Fall eintreten: »Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Antheil an dem gesellschaftlichen Consumtionsfonds erhält (…) der eine faktisch mehr als der andre, ist er reicher als der andre, etc.« Diese »Missstände« wären jedoch unvermeidbar; denn womit wir es am Anfang zu hätten, wäre »eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoos sie herkommt«.
Diese neuen Einsichten führten Marx dazu, dem eigentlichen Kommunismus eine »politische Uebergangsperiode«, eine »Periode der revolutionären Umwandlung« voranzustellen und von zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft zu sprechen: einer »ersten Phase« mit unvermeidbaren »Missständen« und Weiterlesen Launige Utopie