Beschleunigte Zerstörung

https://www.jungewelt.de/artikel/437750.kaputter-kapitalismus-beschleunigte-zerst%C3%B6rung.html

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Ute Nast-Linke/PantherMedia /

Zerstörung der Welt als lebensfreundliches Terrain. Seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass das fortwährende ökonomische Wachstum zu Klimaveränderungen mit katastrophalen Folgen für die Menschheit führen wird

Der folgende Text von Karl-Heinz Dellwo erscheint in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift Crisis and Critique (www.crisiscritique.org).Wir veröffentlichen an dieser Stelle eine vom Autor selbst gekürzte Fassung. (jW)

In keinem Land scheint der Russenhass so schnell aktivierbar zu sein wie in Deutschland¹, das nun zum fünften Mal daran beteiligt ist, Russland vom Westen her seinem Europa zu unterwerfen.² Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gab direkt nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine die alte Naziparole aus, nach der die russische Industrie zu vernichten und Russland zu einem Agrarland zu machen sei.³

Krieg als Befreiungsschlag

Diese Schnelligkeit, mit der hier altnazistische Parolen aktiviert werden und mit der eine politisch mehr oder weniger unbeleckte neue Politik- und Medienkaste, die gerade noch das Loblied des »grünen Kapitalismus« sang, in den Kriegsmodus schalten konnte, verweist auf eine historische Fäulnis des Bisherigen und weckt seltsame Assoziationen zur Vorkriegszeit und zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Als der 1914 begann, öffneten sich alle gesellschaftlichen Schleusen. Schnell waren alle politischen Unterschiede eingeebnet: Bis auf eine marginale Minderheit wollte sich jeder am Krieg beteiligen. Die Sozialdemokraten liefen zum Kaisertum über (und haben sich von diesem Verrat inhaltlich nie wieder erholt). Der Kaiser kannte bekanntlich keine Parteien mehr, sondern nur noch deutsche Vaterlandsverteidiger. Die Jugend orientierte sich an der national-idealistisch mystifizierten Schlacht in Langemarck im November 1914, eine vom deutschen Heer militärisch dümmlich organisierte Kriegsaktion ohne jede Relation zu den erreichbaren Zielen, aber mit großen Opfern – Futter für den verlogenen Patriotismus.

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Hintergründe und Lösungsperspektiven des Ukraine-Krieges

Bundesausschuss FriedensratschlagVeröffentlicht am  von admin30. Juni 2022

Positionspapier des Bundesausschusses Friedensratschlag – Juni 2022

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Die Hoffnungen vieler nach dem Ende des Kalten Krieges auf eine friedlichere Welt haben sich nicht erfüllt. Durchgängig herrschte in den letzten Jahren in über 30 Ländern weltweit Krieg. Wirtschaftliche Er­pres­sungs­politik, Blockaden und Handelskriege zerstö­ren weltweit ökono­mische und ökologische Existenz­grund­lagen. Immer mehr Menschen sind wegen Krieg, Armut und Umweltzerstörung auf der Flucht. Mit der Ukraine kam ein weiterer Krieg hinzu, mit drama­tischen Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt.

Um diese verhängnisvolle Entwicklung zu wenden, müssen wir zurück zu den friedenspolitischen An­sätzen der 1970er und 1980er Jahre und den mit konkreten Abkommen verbundenen Bestrebun­gen in den 1990er Jahren nach Ende des Kalten Krieges, die durch die Expansionspolitik der NATO zu Grabe getra­gen wurden. Eine Entspannungspolitik und Sicher­heits­architek­tur, die die Sicherheitsinteressen aller Konfliktparteien berücksichtigt, ist alternativlos. Ange­sichts gigantischer globaler Probleme – Hunger und Elend, soziale Ungleichheit, Erderwärmung und Arten­sterben, Verseuchung von Böden, Flüssen und Meeren – sind Krieg und Aufrüstung unver­antwortlich. Ohne internationale Zusammenarbeit und die Aufwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel sind die globalen Probleme nicht zu lösen.

Sicherheit für uns Menschen kann nicht durch Hochrüstung und militärische Interventionen erreicht werden, sondern nur durch eine gerechte Politik und nachhaltiges, vorausschauendes Handeln. Ein Streben nach Dominanz, unfaire Handelsbeziehungen und die poli­tisch geschaffene immer größere Kluft zwischen Arm und Reich stehen dem diametral entgegen.

Wir sind für eine neue Politik der Zusammenarbeit statt Konfron­tation, für eine Friedenspolitik der vertrauensbildenden Maßnahmen, die zu Entspan­nung und Abrüstung führt, zu einem System gemein­samer Sicherheit und kontrollierter Abrüstung in Europa und weltweit, für eine Friedenspolitik, wie sie 1990 mit der Charta von Paris und folgenden Ab­kommen angestrebt worden war.

Statt der Berufung auf eine westlich definierte regel­basierte Ordnung fordern wir die Beachtung des Völkerrechts von allen Seiten und ein Ende der Doppel­moral.

Krieg zwischen NATO und Russland

Krieg als Mittel der Politik lehnen wir grundsätzlich ab. Wir haben uns stets entschieden dafür eingesetzt, Krieg als Mittel der Politik zu verhindern, auch bei dem Konflikt zwischen NATO, Ukraine und Russland. Der russische Einmarsch in die Ukraine ist daher ein Rückschlag für alle, die sich für Frieden engagiert haben – und gleichzeitig eine Herausforderung für die Friedensbewegung, ihre Bemühungen für zivile Lösungen zu intensivieren. Nicht zu viel Entspannungs­politik ist das Problem gewesen, sondern zu wenig. 

Als Bürger:innen eines NATO-Staates richten wir unsere Kritik in erster Linie an die NATO-Staaten. Denn der Krieg hätte verhindert werden können und müssen. An eindringlichen Warnungen, auch von zahl­reichen führenden westlichen Außenpolitikern und Experten, dass die Missachtung essentieller Sicher­heitsinteressen Russlands eine solche Reaktion provozieren könnte, hat es nicht gefehlt. Wir weisen zudem die Doppe­lmoral zurück, mit der ausgerechnet die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten den russischen Ein­marsch als Völkerrechtsbruch an­pran­gern, sich als Richter aufspielen und härteste Sank­tionen verhä­ngen, nachdem sie selbst verheerende An­griffskriege geführt und Völkerrecht gebrochen haben.

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Keine Hyperschallwaffen nach Deutschland

https://www.unsere-zeit.de/keine-hyperschallwaffen-nach-deutschland-170079/

UZPolitik | UZ vom 24. Juni 2022 | UZ-PLUS

Im Beschluss des DKP-Parteitags Ende Mai wird über die Perspektive des Russland-Ukraine-Krieges eingeschätzt: „Die USA haben das Interesse, den Krieg zu verlängern, um Russland als Partner der Volksrepublik China zu zermürben, die Voraussetzungen für eine ‚bunte Revolution‘ in der Russischen Föderation zu schaffen, Russland in eine Halbkolonie zu verwandeln und die VR China in den Krieg hineinzuziehen. Sie nutzen die von ihnen beherrschte NATO, um die EU und Deutschland in diese Strategie einzubinden. Das erste Ergebnis dieser Einbindung sind der Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 und die Planungen für ein Energieembargo – gegen die sich auch Teile des deutschen Monopolkapitals stellen – oder die US-Planungen zur Stationierung von hochpräzisen Hyperschallwaffen, sogenannte Dark Eagle, in Grafenwöhr. (…) Wer diesen Krieg anheizt, erhöht die Gefahr eines Atomkrieges nicht nur in Europa.“ Zu den Plänen veröffentlichen wir Ausschnitte aus dem Vortrag, den Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, letzte Woche auf Einladung des Münchner Friedensbündnisses, der Deutschen Friedensgesellschaft DFG-VK und der DKP in München gehalten hat:

Die USA lassen Hyperschallraketen für Armee, Luftwaffe und Marine entwickeln. Das Programm hat „höchste Priorität“ für das Pentagon. Für Deutschland und Europa steht ein Déjà-vu ins Haus. Die Eckdaten der Hyperschallrakete „Dark Eagle“ von Lockheed-Martin, dem einstigen Hersteller der Pershing 2, sind klar: Reichweite mehr als 2.775 km, auf Lkw landbeweglich und in Flugzeugen transportierbar, mit ihrer Stationierung ist schon ab 2023 zu rechnen. Sie sollen nicht-nuklear bewaffnet werden. (…) Dass sie in Europa stationiert werden sollen, ist klar, wo sie in Europa stationiert werden sollen, ist nicht bekannt. Von wo sie kommandiert werden sollen, jedoch schon. Von Wiesbaden aus, beim Europa-Hauptquartier der US-Armee. Dort ist seit November eine 500 Mann starke „Multi-Domain-Taskforce“ (MDTF) eingezogen, dessen 56. Artilleriekommando exakt jenes ist, welches bis 1991 für die Pershing 2 zuständig war. Die dem Kommando unterstellte 41. Feldartilleriebrigade im bayerischen Grafenwöhr stellt damals wie heute die Kanoniere. Deshalb liegt es nahe, dass die „Dark Eagle“ in Grafenwöhr stationiert werden. Moskau liegt 2.000 km von Grafenwöhr entfernt. Die Flugzeit der „Dark Eagle“ von dort beträgt 10 Minuten.

Was für Ziele gibt es in über 2.000 Kilometern Entfernung, die unbedingt binnen weniger Minuten zerstört werden müssen? Reicht dafür nicht auch ein Tomahawk-Marschflugkörper? Zu dieser Frage erklärte das US-Heer im September 2021, die Raketen „Dark Eagle“ würden „eine einzigartige Kombination von Geschwindigkeit, Manövrierfähigkeit und Flughöhe liefern, um zeitkritische, stark verteidigte und hochwertige Ziele zu besiegen“.

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Der Ukraine-Krieg – was vorher geschah

Proteste gegen den Putsch in Kiew in Donezk im April 2014

Russlands Einmarsch in die Ukraine als Bruch des Völkerrechts, als Zeitenwende. Die Begriffe sind vielfältig. Wir haben die Vorgeschichte des aktuellen Krieges mehrfach thematisiert und ergänzen unsere Berichterstattung mit der Veröffentlichung eines Vortrags zur Vorgeschichte des Krieges.

Proteste gegen den Putsch in Kiew in Donezk im April 2014Foto:  Andrew Butko , Lizenz: CC by-saMehr Infos

Der Text ist ein Vortrag, der am 5. April im ND-Gebäude in Berlin gehalten wurde (siehe Video). Er wurde für die Veröffentlichung um wenige Abschnitte gekürzt.

Russland griff am 24. Februar ohne Vorwarnung die Ukraine an. Dieser Überfall auf den Nachbarn hat überrascht, nachdem Russland zuvor ständig behauptet hatte, seine Truppenzusammenführung – von 150.000 Soldaten war zuletzt die Rede – nahe der ukrainischen Grenze diene lediglich Übungszwecken, ein Angriff sei nicht geplant. Allein dieser Wortbruch löst große Ängste und Verunsicherungen über die Glaubwürdigkeit Russlands aus. Das ohnehin schwache Vertrauen scheint gänzlich zerrüttet. Die zuvor angekündigten Sanktionen sind immens. Russland nimmt sie auf sich, was eine langfristige Schädigung der Wirtschaft zur Folge hat. Jetzt, 41 Tage nach Kriegsbeginn, sind die von Russland angerichteten Schäden für die ukrainische Bevölkerung sehr, sehr groß und sehr, sehr schmerzhaft. Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Allein 10 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause zwangsweise verlassen. Das ist jeder vierte Einwohner oder vierte Einwohnerin. Vier Millionen von ihnen suchten Sicherheit im Ausland. Die materiellen Schäden sind noch nicht zu ermessen. Ausgegangen wird von einem Rückgang der ukrainischen Wirtschaftsleistung um 35 Prozent in diesem Jahr.1 Ein Drittel der Betriebe liegt lahm. Die Folgen der Sanktionspolitik außerhalb des Landes in Europa, Afrika und Asien sind überhaupt nicht absehbar. Die Frage stellt sich, was kann es für einen Grund geben, die Verantwortung für diese Katastrophe zu übernehmen? Hat es keine Alternative gegeben? Muss es nicht eine Alternative geben angesichts dieses unermesslichen Leidens, die dieser Angriffskrieg auslöst?

Am 24. Februar war in den NATO-Staaten das Urteil gefällt: Russland bricht das Völkerrecht. Der Krieg sei durch nichts zu rechtfertigen. Die Verurteilung für den Angriff ist damit umfassend. Die drastischen Sanktionen seien a verdient und b notwendig, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden. Derjenige, der ihn als einziger beenden könne, sei der russische Präsident. So lautet das gängige Narrativ hierzulande.

Folglich war die Zustimmung zu Scholz‘ gigantischem Aufrüstungsprogramm groß, selbst Waffenexporte in Kriegsgebiete, über Jahrzehnte undenkbar, wurden urplötzlich bejubelt.

Klarer Völkerrechtsbruch durch Russland? 

Beginnen wir beim Vorwurf des Völkerrechtsbruchs. Er liegt dann vor, wenn das Gewaltverbot der UN-Charta in Artikel 2, Absatz 4 verletzt wird. Der darin formulierte zentrale Grundsatz verbietet die Anwendung von Gewalt gegen das Territorium eines anderen Staates. Der Grundsatz garantiert die Unversehrtheit des Territoriums eines jeden UNO-Mitglieds. Der Angriffskrieg sei völkerrechtswidrig, ist die durchgehende Behauptung in der westlichen Öffentlichkeit und auch in der Friedensbewegung, nicht nur hierzulande. Wenn es keine völkerrechtlichen Vorschriften gibt, die dem entgegenstehen, dann ist es so.

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Anmerkungen zum Ukraine-Krieg

https://das-blaettchen.de/2022/04/anmerkungen-zum-ukraine-krieg-61183.html

von Bernhard Romeike

Gerade kam per E-Mail eine Einladung zu einer Zoom-Konferenz. Darin hieß es: „Einladung an alle, die einen neuen Weltkrieg verhindern wollen. Die gegenwärtige Konfrontationsstimmung in Europa hat damit zu tun, dass in den letzten Monaten sichtbar wurde, dass sich die Welt verändert hat. Die westliche Vorstellung einer ‚regelbasierten Weltordnung‘ war in den vergangenen 70 Jahren geprägt von der veralteten Idee einer Post-Industriellen Welt, die, wie der Name schon sagt, auf industrielle Entwicklung verzichtet und sich stattdessen von einem allgegenwärtigen Finanzimperium dirigieren lässt. Noch im November letzten Jahres forderte das Davos-Forum vom Rest der Welt den Verzicht auf Entwicklung. […] Das ist gescheitert.“ Woher man meine Mail-Adresse hatte, konnte ich nicht erfahren. Absender ist ein sogenanntes Schiller-Institut. Das ist in den USA beheimatet, hat eine deutschsprachige Dependance und geht auf den Politiker und „Aktivisten“ Lyndon LaRouche zurück. Der starb hochbetagt 2019 und galt als rechts und als „Verschwörungstheoretiker“. Das ändert jedoch nichts daran, dass die oben zitierte Beschreibung eine präzise Einschätzung der Lage ist, in der wir uns derzeit befinden. Hinzu kommt: Wer will schon nicht dazu beitragen, einen neuen Weltkrieg zu verhindern?

Russland hat einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine begonnen, der bereits innerhalb weniger Wochen große Opfer gekostet hat, an Menschenleben, materiellen Werten und in Gestalt von Millionen Flüchtlingen. Kanzler Olaf Scholz hat nun am 6. April 2022 verkündet: „Es muss unser Ziel sein, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“ Auch wenn heute „die Demokratie“ beschworen wird, es ist im Verlaufe der vergangenen fast 120 Jahre nunmehr der dritte deutsche Kanzler, der dies zum Ziel deutschen Vorgehens erklärt.

Die US-amerikanische Friedensbewegung bestätigt Scholz’ Anliegen auf ihre Weise. Bruce K. Gagnon, Koordinator eines „Global Networks“ gegen Waffen und Atomkraft im Weltraum, aus Brunswick in Maine schrieb dieser Tage: „Die NATO befindet sich de facto im Krieg mit Russland und benutzt die Ukraine als Werkzeug dafür.“ Und weiter: „Alles, was die NATO betrifft, ist Heuchelei. Sie erklären sich zur ‚Friedensallianz‘, aber ihre Geschichte ist nichts als Krieg. Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und nun die Ukraine, sie alle offenbaren, dass die NATO in der Tat die Piraten-Macht ist, um die Globalisierung der Großkonzerne umzusetzen. Job der NATO ist es, die Unterordnung unter die Forderungen der westlichen Großfirmen zu erzwingen.“ Nun mag man einwenden, der Mann sei weit weg von der Kriegswirklichkeit in der Ukraine und den Gewaltakten der russischen Kriegsführung. Aber er ist nahe dran an der globalen Politik und Strategie der USA. Francis A. Boyle, Rechtsprofessor an der Universität von Illinois, machte (ebenfalls am 6. April) darauf aufmerksam, dass das Pentagon es „ausdrücklich und öffentlich zurückgewiesen hat, die Anklagen von Biden und Blinken über russische Kriegsverbrechen in Butscha zu unterstützen“. Joseph Gerson, Quäker und bekannter Friedensaktivist aus den USA, kommentierte dies mit den Worten: „wahrscheinlich, weil sie selber so viele verübt haben“.

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Chinas geopolitischer Aufstieg

https://www.nd-aktuell.de/amp/artikel/1162252.chinas-grossmachtansprueche-chinas-geopolitischer-aufstieg.amp.html

Im Schatten der Ukraine-Krise entwickelt sich die Volksrepublik zum weltpolitischen Akteur ersten Ranges

19.03.2022

US-Präsident Joe Biden spricht mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg.

AFP/Mandel Ngan

Rom war im Laufe der Jahrtausende Schauplatz zahlreicher historischer Ereignisse. Die italienische Hauptstadt steht auch als Symbol für den Aufstieg und Fall großer Imperien. Welches Imperium sich aktuell im Aufstieg oder Fall befindet, war am Montag dieser Woche nicht Gesprächsgegenstand, als sich am Tiber Vertreter Chinas und der USA zu Unterredungen trafen. Das rasante Erstarken der Volksrepublik – nicht nur als wirtschaftliche, sondern auch als geopolitische Supermacht – war schon daran ersichtlich, dass an dem Treffen zu Beginn der Woche der ranghöchste Außenpolitiker der Kommunistischen Partei Chinas, Yang Jiechi, und der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jacob Sullivan, teilnahmen. Ursprünglich geplant war eine Unterredung, um die angespannten Beziehungen zwischen den beiden Supermächten neu zu organisieren. Doch durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine wurden die Gespräche natürlich von diesem Konflikt überschattet. Zum ersten Mal steht dabei Peking im Zentrum der Bemühungen westlicher Staaten, einen weltpolitischen Konflikt zu lösen. Dies war weder im Irak oder Syrien noch in Afghanistan der Fall.

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Wer aber in Washington, London oder Brüssel davon ausging, China würde nach der Pfeife des Westens tanzen, wurde schnell von den Realitäten eingeholt. Die außenpolitische Denkschule Pekings basiert zunehmend auf den Theorien von Fang Ning, einem der führenden politischen Theoretiker Chinas. Er analysierte bereits im Jahr 1999, dass bei genauer Betrachtung auffällt, dass seit dem Triumph der Alliierten über Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg kein einziger Krieg mehr von den USA nachhaltig gewonnen wurde. Ganz von den konventionellen Großeinsätzen in Korea und Vietnam abgesehen, so gab es nirgendwo einen Sieg zu vermelden, nicht einmal bei den Scharmützeln von Somalia, beim Einsatz der Contras in Nicaragua, vom Debakel John F. Kennedys in der Schweinebucht ganz abgesehen. Im Südlibanon, im Irak, in Afghanistan hat sich längst bestätigt, dass die konventionelle Kriegsführung der Nato-Stäbe, aber auch Russlands und Israels, mit der Abnutzungsstrategie, die den Kern des asymmetrischen Krieges bildet, nicht zurechtkommt, so der Politologe und außenpolitischer Vordenker Pekings. Fang Ning reflektierte in seinen außenpolitischen Analysen einen Wesenskern des chinesischen Blickes auf die Welt.

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Daheim ist, wo der Hauptfeind steht

https://www.jungewelt.de/artikel/422482.krieg-in-der-ukraine-daheim-ist-wo-der-hauptfeind-steht.html

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Viele entdecken ihre Friedensliebe erst dann, wenn zur Abwechslung mal wer anders als die NATO Bomben wirft. Demgemäß ist Russland nichts als Täter, die Ukraine nichts als Opfer und der sogenannte Westen nichts als Beobachter, der jetzt aber schnell helfen soll. Wer nach Zusammenhängen fragt, gilt als Kriegsrechtfertiger. (Kundgebung in Kiel, 26. Februar)

Wer dieser Tage ein Gedächtnis hat, braucht für Anfeindungen nicht zu sorgen. Man räumt schon irgendwie ein, dass der Ukraine-Krieg eine Vorgeschichte habe, die NATO seit 1991 Expansion gen Osten betreibe und ihrerseits auf eine stattliche Geschichte militärischer Aggression zurückblicken könne. Doch findet man, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, all das zu erwähnen. Vermutlich, weil in der Geopolitik nichts mit irgendwas zusammenhängt.

Der Vorwurf des Whataboutism ist schneller da, als man »Druschba« sagen kann. Und er kommt gerade von Leuten, die jetzt Waffenlieferungen und Aufrüstung herbeirufen. Oder gleich Kampfeinsätze. In jedem Fall von der Front aller, die die einseitige Sicht auf den Konflikt zu einer Sache des Gewissens erhoben haben und mit Macht ein Bild durchsetzen, demzufolge Russland nichts als Täter, die Ukraine nichts als Opfer und der sogenannte Westen nichts als Beobachter sei. Wer nach Zusammenhängen fragt, gilt ihnen als Kriegsrechtfertiger. Während offensichtlich ist, dass sie ihre Friedensliebe immer erst dann entdecken, wenn zur Abwechslung mal wer anders als die NATO Bomben wirft. Und weil sie nicht länger verbergen können, dass ihr kategorischer Imperativ in Scherben liegt und sie systematisch mit zweierlei Maß messen, bügeln sie jeglichen Hinweis darauf als Whataboutism weg.

Große und kleine Geister

Bevor man seine Kampflinien ordnet, sollte man sich im Kopf ordnen. Denn dieser Schritt kann später nicht mehr nachgeholt werden. Tun wir für einen Moment mal so, als wüssten wir gar nichts; naiv hinsehen statt elaboriert glotzen: Den Bürgerkrieg in einem benachbarten Land zum Vorwand nehmen, dessen Souveränität zu verletzten, es anzugreifen und den von der unterdrückten Minderheit bewohnten Teil mit Gewalt aus ihm herauszulösen, um diesen militärischen Akt dann nachträglich durch ein auf diesen Teil des Landes beschränktes Referendum zu legitimieren – in dieser Beschreibung lässt sich, solange man keine Namen nennt, sowohl der Krieg in der Ukraine als auch der im Kosovo wiedererkennen. Russland vollzieht heute Schritte, die die NATO seit Jahrzehnten vortanzt.

Und ebenso auf dem Gebiet der psychologischen Kriegführung. Schon länger herrscht hierzulande sorgfältig eingeübte Empörung über deutschsprachige Ableger russischer Staatsmedien und sogenannte Trollfabriken, die die Bevölkerung der westlichen Staaten beeinflussen. Man fühlt sich zersetzt und weist zudem darauf hin, dass die russische Propaganda keineswegs bloß die antiimperialistische Linke adressiert, sondern auch rechte Kreise, wodurch eine oppositionelle Querfront Anschub bekomme. Halten wir fest: Ein Land versucht durch mediale Mittel und direkte finanzielle Förderung eine politisch disparate (links-rechte) Opposition eines anderen Landes zu stärken, betreibt also Zersetzung mit dem langfristigen Ziel, dort einen politisch genehmen Kurs zu erzwingen. Das ist nun nicht bloß gängige Praxis der US-amerikanischen Außenpolitik seit 1945, es ist exakt das, was westlicherseits und sichtbar ab 2004 auf dem Kampffeld Ukraine betrieben wurde.

Die kollektive Panik, die die Deutschen gerade erfasst – beständig schwankend zwischen Friedenssehnsucht und Bereitschaft zum Krieg –, lässt sich demnach auch als Ausdruck einer Kränkung deuten. Man geht unbewusst davon aus, dass es das natürliche Recht des Westens sei, andere Länder zu überfallen oder zu zersetzen, um dort eine Lebensweise zu etablieren, die der eigenen entspricht, und bei dieser Gelegenheit auch gleich die Grundlagen für wirtschaftliche Investitionen zu schaffen. Wieviel postkoloniale Anmaßung in dieser Sicht der Dinge steckt, wird offenbar, sobald jemand es dem Westen gleichtut, dem das einfach nicht zustehe, ein postzaristischer Autokrat zum Beispiel. Ein zweiter Antrieb scheint in der deutschen Geschichte zu liegen. Die Deutschen haben mit den Russen ebenso ihr Issue wie mit den Juden; sie suchen in der Jetztzeit Möglichkeiten, die Last der Vergangenheit abzutragen, suchen, um ein Wort von Eike Geisel zu nehmen, Wiedergutwerdung. Die Ukrainer geraten den Deutschen dabei zum Stellvertretervolk, durch das die Nachfahren der Täter sich zum Opfer hin identifizieren können. Der dritte Antrieb der Angst scheint tatsächlich Angst zu sein. Authentische Sorge darum, dass Europa zum weiten Kriegsfeld werden und der Russe demnächst an den Seelower Höhen stehen könnte. Bloß setzt diese Angst einerseits ein völliges Verkennen der eigentlichen militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Russland und den transatlantischen Staaten voraus, wie sie zum andern wiederum eurozentristisch ist. Kriege und Massenfluchten – weitaus schlimmer, weitaus größer als jetzt – waren und sind in anderen Teilen der Welt an der Tagesordnung, nicht selten von eben den westlichen Ländern betrieben, deren Bewohner jetzt echt Angst kriegen.

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Antikriegsmanifest von Konstantin Wecker auf seiner Utopia-Tournee, 2. März 2022

https://wecker.de/de/weckers-welt/item/890-Antikriegsmanifest-von-Konstantin-Wecker-auf-seiner-Utopia-Tournee-2-Maerz-2022.html

03.03.2022

Es sind schreckliche und erschütternde Zeiten: Als Antimilitarist und Pazifist bin ich fest davon überzeugt, dass nur eine internationale Friedens- und Antikriegsbewegung diesen verbrecherischen Angriffskrieg von Putins Machtapparat gegen die Menschen in der Ukraine stoppen kann und wird. Dafür müssen wir aufstehen und auf die Straßen und Plätze dieser Welt ziehen, auch um die Gefahr eines noch viel größeren Krieges zu verhindern!

Meine Gefühle und Gedanken und meine ganze Empathie und meine Solidarität sind bei den Menschen, die in der Ukraine verletzt und getötet werden: stündlich müssen mehr Menschen um ihr Leben fürchten. Es sind immer die Menschen, die Natur und die Tiere, die unter den Kriegen am meisten leiden.

Ich bin verzweifelt und doch sage ich Euch: Hoffnung machen mir die mutigen Menschen in Russland und weltweit: Es werden aktuell immer mehr Menschen in Russland, die unter den schwierigsten Bedingungen gegen alle Repressionen eine Antikriegsbewegung aufbauen. Auch ihnen gehört unsere volle Unterstützung und Solidarität. Hoffnung machen mir auch alle mutigen Menschen in der Ukraine und weltweit, die sich nicht von autoritären Herrschern unterwerfen lassen wollen. Deshalb: Grenzen auf für alle Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, aber bitte wirklich für alle Menschen: auch für die schwarzen Student*innen, die dort seit teils vielen Jahren leben und studieren. Aber natürlich auch Grenzen auf für alle Menschen aus Syrien, Kurdistan, Afghanistan, Irak, Jemen oder der Türkei, die u.a. auch vor deutschen Bomben und Waffen und vor den Bomben des großrussischen Putin-Imperiums oder des Nato-Imperiums aus ihren Ländern fliehen.

Lasst uns unsere FriedensfreundInnen in Russland unterstützen: Es braucht dort eine Massenmobilisierung gegen den Aggressionskrieg, eine Aufforderung an alle russischen Soldaten, sofort den Befehl zu verweigern und zu desertieren. Nur eine Revolte unter den russischen Soldaten kann diesen Krieg sofort stoppen! Und die Älteren unter uns werden sich erinnern: So war es auch in Vietnam – der Anfang vom Ende des US-Angriffskrieges damals war die massenhafte Desertion und die Revolten der einfachen US-Soldaten gegen ihre Offiziere und Generäle.

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Ukraine-Krise Die USA sind nicht der Nabel der Welt

https://www.rosalux.de/news/id/46080

NACHRICHT | 07.03.2022

Ein Brief an die Linke im Westen, über eure Fehler und unsere eigenen.

07.03.2022

Rosa-Luxemburg-Stiftung: zur Startseite
Ein Demonstrant steht mit einer Ukraine-Flagge vor dem Weißen Haus in Washington D.C., USA.  Foto: picture alliance / NurPhoto | Allison Bailey

Wir in der postsowjetischen Welt haben viel von euch gelernt. Wenn ich «wir» sage, meine ich die versprengten oder lose organisierten kommunistischen, demokratisch-sozialistischen, anarchistischen und feministischen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen in Kiew, Lviv, Minsk, Moskau, Sankt-Petersburg und all den anderen Orten, die nun in Krieg und Polizeigewalt versinken. Nachdem unsere eigene marxistische Tradition verknöchert war und nur noch ein entwertetes Nischendasein fristete, lasen wir englischsprachige Literatur über Das Kapital. Nach dem Untergang der Sowjetunion hielten wir uns an eure Analysen der amerikanischen Weltordnung, des neoliberalen Akkumulationsregimes und des westlichen Neo-Imperialismus. Anregungen empfingen wir von den sozialen Bewegungen des Westens, von der globalisierungskritischen Bewegung bis zu den Antikriegsprotesten, von Occupy bis zu Black Lives Matter.

Wir schätzen eure Versuche, unsere Weltgegend theoretisch zu deuten. Zurecht habt ihr darauf hingewiesen, dass die USA in Russland und andernorts während des postsowjetischen Transformationsprozesses fortschrittliche Entwicklungsmöglichkeiten behindert hat. Es ist auch korrekt, dass es den USA und Europa nicht gelungen ist, ein Sicherheitssystem zu schaffen, das Russland und andere postsowjetische Länder einbezöge. Unsere Länder sind es seit langem gewohnt, sich anzupassen, Zugeständnisse zu machen und sich erniedrigenden Bedingungen zu fügen. Eure Haltung war bei alledem geprägt von einer Sympathie, die an Romantisierung grenzte, was wir bisweilen stillschweigend geduldet haben.

Volodymyr Artiukh ist Sozialanthropologe und forscht zur Arbeiterklasse und Migration in Osteuropa.

Jetzt aber, da Charkiv unter russischem Beschuss liegt, zeigt sich die Beschränktheit dessen, was wir von euch übernommen haben. Denn euer Wissen habt ihr euch unter den Bedingungen der amerikanischen Hegemonie erarbeitet, die an Russlands blutroten Linien an ihre Grenzen stößt. Die USA sind nicht länger in der Lage, ihre eigenen Interessen als übergreifende Interessen darzustellen, die auch im Sinne Russlands und Chinas wären. Sie können Zustimmung militärisch nicht erzwingen und ihre wirtschaftlichen Druckmittel werden schwächer. Obwohl viele von euch daran glauben, ist Russland keineswegs länger in einer Position, in der es nur reagiert, sich anpasst und dem Westen entgegenkommt. Es hat seine Handlungsmacht zurückgewonnen und ist fähig, seine Umgebung nach dem eigenen Willen zu gestalten. Dabei bedient sich Russland anderer Methoden als die USA, denn es stützt sich vor allem auf rohe Gewalt, anstatt unter Einbeziehung von «soft power» und wirtschaftlicher Macht ein hegemoniales Projekt zu verfolgen. Doch wie ihr alle aus dem Auftreten der USA in Lateinamerika, Irak, Afghanistan und vielen anderen Ländern wisst, ist rohe Gewalt durchaus ein wirkungsvolles Instrument. Russland ahmt die Zwangsmethoden des amerikanischen Imperialismus nach, ohne dessen hegemonialen Kern beizubehalten.

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