Kapitalfromm und mit instrumenteller Vernunft. Eine Bilanz der Ära Merkel

Abtritt nach 16 Jahren Kanzlerschaft. Angela Merkel verlässt demnächst das Bundeskanzleramt
Die Behauptung, dass Angela Merkel in ihrer FDJ-Gruppe für Agitation und Propaganda zuständig war, suchte sie mit der Bemerkung richtigzustellen, sie sei eine Art Kulturbeauftragte gewesen: Theaterkarten besorgen und so. Davon ausgehend kann man sich zusammenphantasieren, wie es da wohl zugegangen sein mag. Zum Beispiel: Wie wäre es gewesen, wenn die Gruppe eine gemeinsame Ferienreise geplant hätte? Niemand wäre auf die Idee gekommen, Paris oder Rom als Ziel vorzuschlagen, aus bekanntem Grund. Also statt dessen vielleicht die Hohe Tatra.
Nach dem Fall der Mauer sah das anders aus. Jetzt durfte man, wenn die Kasse stimmte, reisen, wohin man wollte. Allerdings konnte der jungen Angela Merkel nicht völlig entgehen, dass die Freiheit keineswegs unendlich war. Die neue Grenze war der Kapitalismus – sehr weiträumig, aber vorhanden und, wie man bald zu sagen pflegte, alternativlos. Günter Gaus hat in einem Fernsehinterview seiner Reihe »Zur Person«, das er 1991 mit ihr führte, in einer Nebenbemerkung darauf hingewiesen.
Unerwartete Gelegenheiten
Man kann es heute noch bei Youtube nachverfolgen. Zu sehen und zu hören ist eine Person, deren Auftritt damals nachgerade dazu eingeladen haben dürfte, sie rasch wieder zu vergessen, weil sie einem Vorurteil entsprach: eine profillose Newcomerin, die innerhalb weniger Monate aus dem Nichts nach ganz oben kommt, weil Kohl und die West-CDU Personen brauchte, für die drei Qualifikationen ausreichten: weiblich, östlich, jung. Offensichtlich hatte sie nichts dagegen, so unterschätzt zu werden: zugleich schüchtern und zwischendurch verdeckt verschlagen wirkend, um ein Klischee, das sie aber noch nicht gefunden hatte, bemüht. Stefan Heym hat sie damals mit ein paar Bemerkungen, die nicht zu seinen gelungensten gehören, zu charakterisieren versucht: eine Duckmäuserin aus der DDR. Sie widersprach Gaus in einem Punkt: östlich und jung – ja, aber dass sie eine Frau ist, sei kein Bonus. In der kurzen Zeit, die sie damals in der CDU war, hatte sie schon gemerkt, wie mächtig dort Männerseilschaften und deren Ressentiments waren. Damit hatte sie in all den folgenden Jahrzehnten zu kämpfen, bis hin zu dem Hass, der ihr von den durch sie Gekränkten zumindest latent entgegengebracht wurde. Das konnte sie an sich abperlen lassen, aber sie musste immer aufpassen.
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