Die Dialektik und der Humanismus der Praxis

Franz J. Hinkelammert

Mit Marx gegen den neoliberalen kollektiven Selbstmord
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung

240 Seiten | 2020 | EUR 16.80  
ISBN 978-3-96488-056-7 

Kurztext: Karl Marx zeigt in seiner Kritik des Kapitalismus, wie durch eine bestimmte Auffassung des Verhältnisses von Markt und menschlichem Leben letzteres sekundär wird. Diese geradezu marktreligiöse Auffassung wurde im Neoliberalismus, auch durch Gegenkritik an Marx, radikalisiert. Hinkelammert analysiert diese Marx-Kritiken mit dem Ziel, der Marktreligion einen neuen Humanismus der Praxis entgegenzusetzen.

Inhalt & Leseprobe:


www.vsa-verlag.de-Hinkelammert-Dialektik-Humanismus.pdf623 K

Hinkelammert verdeutlicht, wie sich die Auffassung des historischen Materialismus und damit der menschlichen Gesellschaft im Marxschen Denken entwickelt. Der Markt wird zum Ausgangspunkt des Wirtschaftens, der Mensch zu einem verachteten und ausgebeuteten Wesen. Ziel einer Befreiung wäre die Unterordnung des Marktes unter das Leben der Menschen. Das aber setzt eine Kritik der politischen Ökonomie voraus.

Zudem zeigt Marx, dass die Marktordnung als Wettbewerbsordnung gleichzeitig eine Klassenkampfordnung ist. Dieser Klassenkampf von oben bildet durch die entstehenden extremen Widersprüche auch einen Klassenkampf von unten heraus. Auf diese Entwicklung reagieren wiederum Interpretationen, die häufig die Form von (scheinbarer) Wissenschaft haben und beherrscht werden durch die »Sieger« im Wettbewerb. Sie bauen eine extreme Ideologie auf, die jeden Widerstand gegen diese Tendenzen des Wettbewerbs und gegen die Interessen der diesen Wettbewerb beherrschenden Gruppen für illegitim erklärt. Es entsteht eine Markt­ideologie, die gleichzeitig Marktreligion ist. Als Hauptvertreter dieser Richtung untersucht der Autor Friedrich August Hayek und dessen Traditionen, insbesondere Friedrich Nietzsche, Max Weber und Karl Popper.

Für Hinkelammert ergibt sich die Notwendigkeit, »diese gesamte Marxkritik aufs Neue zu diskutieren von einem Standpunkt aus, der den Dialog sucht und nicht einfach einen scheinbar wissenschaftlich geführten Bürgerkrieg«. Zu verteidigen sind dabei alle Menschenrechte, deren Verwirklichung eine Intervention in den Markt voraussetzt und deren Anwendung es erst möglich macht, menschenwürdig zu leben und damit die gegenwärtigen Tendenzen zum kollektiven Selbstmord hin aufzulösen.

Der Autor:
Franz J. Hinkelammert ist ein in Lateinamerika ­lebender Ökonom und Befreiungstheologe. Er ist Autor grundlegender Arbeiten zur Marx’schen ­Religions- und Kapitalismuskritik sowie zur Kritik 
der neoliberalen Ökonomie.

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ER

OXI – Wirtschaft anders denken

Weil wir ihn zur lebendigen Wesenheit erklären, ist der Markt eine Fiktion 

Kathrin Gerlof

Für die Politik ist er das Alpha und das Omega. Man unterwirft sich seinen Regeln, lässt ihn die Qualität von Produkten bewerten, bringt ihm Opfer, folgt seiner Logik, vertraut seinen Selbstheilungskräften, fürchtet sein Versagen, passt sich ihm an, entrinnt niemals seinen Gesetzen, weiß, dass er die Tüchtigen belohnt, baut die Demokratie nach seinen Wünschen um. 

Der Markt. Kein Ding, stattdessen eine Wesenheit. Die uns Konformität abverlangt, auch in der parlamentarischen Mitbestimmung, wie es Angela Merkel 2011 forderte. Man solle IHN respektieren und nicht vergessen, dass er sensibel sei: »Wir müssen die Märkte überzeugen.«

»Wie machen Markt und Staat weiter in der Coronakrise?«, fragt die Tagesschau. »So robust geht der Immobilienmarkt durch die Krise«, jubelt das »Manager-Magazin«, der Markt würde das mit den Preisen im Profifußball regeln, glaubt die Lokalpresse, »Der Markt regelt das nicht«, vermutet »ZEIT-online« in Bezug auf Erholung und Konjunktur. Eigentlich müssten wir, also die Menschen, ein bisschen beleidigt sein. Wir kommen gar nicht vor, es sei denn als Handlanger.

Der Glaube nährt Hoffnung. Das gilt nicht nur in der Religion, sondern auch in der Wirtschaft. Wenn etwas in einer Art und Weise überhöht und mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet ist, dass aus dem Konstrukt zur Erklärung von Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten ein vermeintlich lebendiger und mit Verstand ausgestatteter Organismus wird, könnte man von Fundamentalismus reden. 

Aber bleiben wir lieber bei dem Begriff »Neoklassik«. Und geben wir nicht jenen die Schuld, die uns reflexartig einfallen, wenn es um Marktwirtschaft geht, denn diesen Begriff findet man bei den Klassikern der politischen Ökonomie des späten 18. und des 19. Jahrhunderts nicht, wie Weiterlesen ER

Der marktgerechte Patient

Aufruf zur Unterstützung des Filmprojekts

Ein „FILM VON UNTEN“ von Leslie Franke und Herdolor Lorenz, 82 Min.

Premiere am 8. November 2018 war eingroßer Erfolg!

Helfen Sie mit, dass der Film „Der marktgerechte Patient“ sich nun noch weiter verbreiten kann und eine optimale Aufklärungsfunktion erfüllt!

Es gibt zwar bereits zahllose Berichte über skandalöse Zustände in den deutsche Krankenhäusern. Erstaunlicherweise fehlt dabei aber fast immer der Bezug auf die wesentliche Ursache dieser Zustände: Die seit 2003 verbindliche Vergütung der

Krankenhäuser durch sog. Fallpauschalen (jede diagnostizierbare Krankheit hat einen fixen Preis – wer mit möglichst geringen Personal-, Sach- und Organisationskosten den Patienten optimal schnell abfertigt, macht Gewinn – wer sich auf die Patienten einlässt und Tarife zahlt, macht Verlust). Die Einführung der sog. DRGs (Diagnosis Related Groups) war der radikale Schritt zur kompromisslosen Kommerzialisierung eines Bereichs, der bis dahin vom Gedanken der Empathie und Fürsorge getragen wurde. Seither wird der Mensch dort, wo er am Verletzlichsten ist, nämlich als hilfsbedürftiger Patient, den gnadenlosen Prinzipien von Gewinn und Verlust untergeordnet.

Wir sind nicht an der Zurschaustellung von Skandalen interessiert. Uns kommt es bei der Aufdeckung von Folgen vor allem auf die Ursachen  der unhaltbaren Zustände in den deutschen Krankenhäusern an. Nur so Weiterlesen Der marktgerechte Patient

Kein Recht auf Rendite, aber ein Grundrecht auf Wohnen

von Sabine Nuss

Wer im Sommer 2019 in Berlin der mietenpolitischen Auseinandersetzung folgte, wurde Zeuge einer ideologischen Schlammschlacht: Die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung, Katrin Lompscher, hatte als Reaktion auf die gestiegenen Mieten in der Stadt einen Entwurf für ein „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ vorgelegt. Er sah unter anderem vor, die Mieten für fünf Jahre einzufrieren, eine Mietobergrenze einzuführen und Mieten möglicherweise sogar abzusenken. Explizit ausgenommen wurden seit 2014 fertiggestellte Immobilien, und weitere Sonderregelungen sollten „unbillige Härten“ für Vermieter vermeiden. Noch bevor jedoch irgendein Gesetz beschlossen war, wusste manch ein Vertreter der Immobilienbranche, dass damit die „linke Baubrigade“[1] die Hauptstadt auf direktem Weg zurück in die DDR führen würde. Diese schrille Polemik übertönt die Debatte, die eigentlich geführt werden müsste: eine Grundsatzdebatte über das Eigentum an Wohnraum.

Als Gründe für steigende Mieten werden meistens das Bevölkerungswachstum in den Städten und zu wenig Neubau genannt. Diese Diagnose ist nicht falsch. Stadtsoziologen haben in den letzten Jahren allerdings rauf und runter analysiert, dass die Gründe tiefer liegen: So wurde etwa Weiterlesen Kein Recht auf Rendite, aber ein Grundrecht auf Wohnen

Ökalypse: „Die größte Herausforderung ist in den Wirtschaftswissenschaften noch nicht angekommen“

Der Wirtschaftswissenschaftler Helge Peukert über die Ungleichheit in der Vermögensverteilung, die Situation in der Ökonomie und die Notwendigkeit einer Kulturrevolution in Richtung Postwachstumsökonomie

Die Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, hat in Frankreich zu explosiven und aggressiven Demonstrationen geführt, die so genannten Gelbwesten-Proteste. Viele Regionen sind abhängt, es gibt wenige Arbeitsplätze, die kleinen Städte veröden. Darüber hinaus explodieren die Mieten der Städte wie in Paris, sie sind für den Durchschnittsverdiener kaum mehr bezahlbar. Auch in Deutschland regt sich Widerstand. Der Vorschlag des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, Immobilieneigentümer zu enteignen, hat zu heftigsten Widerspruch geführt. 

Dennoch scheint der Markt allein die gegenwärtigen Probleme nicht ohne Weiteres zu lösen, eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein. So haben zum Beispiel die anscheinend bewährten Steuersenkungen und Deregulierungs-Maßnahmen auf den Kapitalmärkten (initiiert durch Ronald Reagan und Bill Clinton) die Welt in die größte Finanzmarktkrise seit 1929 gestürzt, die Staatsschuld der USA und auch Deutschlands durch Rettungsmaßnahmen kräftig erhöht. 

Die traditionelle Ökonomie Weiterlesen Ökalypse: „Die größte Herausforderung ist in den Wirtschaftswissenschaften noch nicht angekommen“

Von der Angst zu versagen


sieben tage, sieben nächte
 

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Von der Angst zu versagen 

Deutschland, so wird lobend hervorgehoben, sei eine »Leistungsgesellschaft«. Auf das Individuum bezogen bedeutet das, dass jedes Mitglied dieser Gesellschaft konfrontiert ist mit Leistungsansprüchen, die von außen an es gestellt werden. Werden diese äußeren Ansprüche vom Individuum erfolgreich zu den eigenen gemacht, sind Versagensängste die unausweichliche Folge. »Die Angst zu versagen, einer Anforderung nicht zu genügen, erlebt jeder in seinem Leben«, erklärt das Internetportal http://www.angst-verstehen.de. 

Aber nicht nur Menschen versagen. Für liberale Ökonomen ist die aktuelle Wohnungskrise ein klassischer Fall von »Marktversagen«. Laut ihrer Theorie bezeichnet Marktversagen die Situation, wenn der Markt nicht dazu führt, dass hochwertige Qualität zum günstigsten Preis (effizient) angeboten wird. Der Markt für Immobilien versagt derzeit also letztlich, weil die steigende Nachfrage nach Wohnraum nicht zu einem steigenden Angebot mit der Folge sinkender oder weniger schnell steigender Preise führt. Der Marktmechanismus »funktioniert nicht«, heißt es dieser Tage. 

Das ist natürlich albern. Es ist ja gerade der »Marktmechanismus«, der den Eigentümern von Wohnraum ermöglicht, die Wohnungs-Nachfrager mit dem knappen Angebot zu erpressen. Das ist Marktlogik. Was hier »versagt«, ist also nicht der Marktmechanismus, sondern die Ökonomen bei der Erklärung der Realität. Sie unterstellen dem Markt eine Aufgabe – bezahlbaren hochwertigen Wohnraum schaffen –, an der er scheitern soll. Doch scheitern kann man nur an Aufgaben, die einem gestellt sind. Und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, gehört beim Markt nun mal nicht dazu. Er ist bloß der Ort, an dem sich Nachfrage und Angebot treffen und einen Machtkampf ausfechten. »Es gibt kein Marktversagen«, sagte mal der Ökonom Hajo Riese, »der Markt macht halt, was er macht.«

Die Wohnungskrise blamiert lediglich das Ideal des Marktes, das seine Fans mit sich herumtragen. Und mit der Rede vom »Marktversagen« versuchen sie, dieses Ideal gegen die Realität zu behaupten. Das geht auch noch auf anderem Wege: indem man dem Staat die Schuld am Marktergebnis gibt. Wie zum Beispiel die FDP: Statt Immobilien zu enteignen, müsse die Politik »andere Rahmenbedingungen« fürs Bauen schaffen. Doch »in Berlin und anderen Metropolen versagt dabei die Politik«. 

Auch auf diese Weise lässt sich der Markt in Schutz nehmen: Man macht den Staat für die Wohnungskrise verantwortlich, weil sie den Markt nicht gehindert hat, die Preise nach oben zu treiben. Eine schöne Kausalität, nach der allerdings auch die Polizei schuld trägt am Verbrechen, das sie nicht verhindert hat. 

Auch für die Fans des Marktes gilt eben die alte Weisheit: Parteilichkeit geht nicht ohne Abstriche bei der Logik. Stephan Kaufmann

Bundesausgabe vom Sa, 13.04.2019 – Seite 2

(nd E-Paper – 13.04.2019)

Hier finden Sie den vollständigen Artikel: http://epaper.neues-deutschland.de/eweb/nd/2019/04/13/a/2/1418165/