
Andrej Holm. Bild: Matthias Heyde, Humboldt-Universität zu Berlin
Der Stadtforscher Andrej Holm im Interview zur „Wohnungsfrage“
Die neue Legislaturperiode läuft gerade warm. Die Parteien, die aus der Bundestagswahl und den beiden Landtagswahlen vom letzten September als Koalitionäre hervorgegangen sind, haben ihre Programme in Koalitionsvereinbarungen zusammengerüttelt. Was darin zur den Desiderata der Wohnungspolitik steht, hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Defizite der Vergangenheit und die Gemengelagen der Gegenwart benannt werden.
Andrej Holm ist promovierter Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gentrification und Wohnungspolitik. Er ist in zahlreichen stadtpolitischen Initiativen aktiv. Zuletzt erschienen ist von ihm das Buch: „Objekt der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte“.
Die Mietpreisbremse – ein stumpfes Schwert, der (Berliner) Mietendeckel – gekippt, das Vorkaufsrecht für Kommunen – gerichtlich einkassiert. Geht alles, was dem Schutz vor Abzocke dienen sollte, gegenwärtig den Bach hinunter?
Andrej Holm: Die aktuellen Entwicklungen sind tatsächlich ein herber Rückschlag für viele Mieterinnen und Mieter, weil eine Reihe von in den letzten Jahren genutzten Schutzmechanismen durch Gerichtsentscheidungen suspendiert wurden. Damit sind weitere Hindernisse ausgeräumt wurden, die eskalierende Mietsteigerungen und die Verdrängungen verhindern sollten.
Die Vehemenz, mit der die immobilienwirtschaftlichen Interessen in der Öffentlichkeit und auf juristischen Wegen verfolgt werden, zeigt aber auch, dass die Politik, zumindest in Berlin, mit dem Mietendeckel und den Vorkaufrechten grundsätzlich auf dem richtigen Weg war und nach Instrumenten sucht, die tatsächlich wirkungsvoll sind. Soziale Belange im Bereich des Wohnens müssen fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Insofern ist es auch kein Wunder, dass eine Politik im Interesse der Mieterinnen und Mieter auf den erbitterten Widerstand der Immobilienbranche stößt und auch juristisch in Frage gestellt wird.
„Bauen, Bauen, Bauen“ ruft die interessierte Bauwirtschaft, und die FDP untermauert es ökonomisch: Da Wohnraum knapp ist, müsse das Angebot durch Neubauten erweitert werden. Dadurch sinken die Preise. Gibt es einen Haken an diesem liberalen Credo?
Andrej Holm: Gegen den Neubau ist grundsätzlich nichts zu sagen. Ohne Wohnungsbau gibt es ja kein Dach über dem Kopf. Zu kurz kommt in den simplen Neubauforderungen die Frage, was denn da für Wohnungen gebaut werden. In den Städten mit angespannten Wohnungsmärkten fehlt es ja nicht nur an genügend Wohnungen für die steigenden Bevölkerungszahlen, sondern vor allem an leistbaren Wohnungen für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen. Eine echte Nachfrageorientierung müsste also eigentlich dafür sorgen, dass mehr günstige Wohnungen neugebaut werden. Da würde vor allem ein neuer kommunaler Wohnungsbau helfen.
Für die Versprechungen, dass allein durch eine Ausweitung des Angebots die Preise im Bestand sinken, gibt es bisher keine Belege. Die Modelle der Ökonomie gehen davon aus, dass bei verstärktem Wohnungsbau die Preise nachgeben – doch leider zuerst in den höheren Preislagen. Bis Mengeneffekte auch günstige Wohnungen um die 6 Euro pro Quadratmeter hervorbringen, müsste schon sehr viel gebaut werden. Wirklich günstig wird es erst, wenn in den Leerstand hineingebaut würde. Doch eine solche Strategie zur Lösung der sozialen Wohnungsfragen sollte sich angesichts der klimapolitischen Herausforderungen von selbst verbieten.
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