Salvador Allende: Es war ein Privileg dabei zu sein

Von Nils Brock, Álvaro Garreaud und Pamela Cuadros

AFP

Am 4. September jährt sich zum 50. Mal der Wahlsieg Salvador Allendes. Als bekennender Marxist gelingt dem Kandidaten des Linksbündnis Unidad Popular (UP) damals Unerhörtes: Eine knappe Mehrheit der chilenischen Bevölkerung entscheidet sich an der Wahlurne dafür, den Aufbau eines demokratischen Sozialismus zu wagen – auf ganz legalem Weg. International herrscht links wie rechts Skepsis: Während die US-Regierung nicht müde wird, vor einem »zweiten Kuba« zu warnen, kritisieren Anhänger*innen der kubanischen Revolution den »bürgerlichen Charakter« des chilenischen Irrweges, da beim Kampf gegen das Imperium nichts an einer bewaffneten nationalen Befreiung vorbeiführe. Euphorisch reagieren dagegen alle jene, die der Kalten-Kriegs-Logik müde sind, die genug haben vom Krieg in Vietnam und der Niederschlagung von Reformbewegungen wie dem Prager Frühling. Könnte es nicht sein, dass dort in Chile an einem gerechteren Miteinander laboriert wird, das sich an einem kollektiven Horizont orientiert ohne dafür individuelle Freiheiten opfern zu müssen?

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Zehntausende zieht es in der dreijährigen Regierungszeit Allendes nach Chile: unabhängige Berichterstatter wie Saul Landau und Régis Debray, Intellektuelle wie Rossana Rossanda und Eric Hobsbawm, Künstler*innen wie Leonore Mau und Silvio Rodriguez, oder Politiker wie Zhou Enlai und Francois Mitterand. Doch Weiterlesen

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Erfolg mit Symbolkraft

jungewelt.de

Volker Hermsdorf

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Alexandre Meneghini /REUTERS

»Eine medizinische, wissenschaftliche und solidarische Macht«: Kubanische Ärzte auf dem Weg zu einem internationalistischen Einsatz (Havanna, 4.6.2020)

 

Hintergrund:Corona in Kuba

Die kubanischen Behörden haben am Donnerstag abend (Ortszeit) ein drastisches Maßnahmenpaket angekündigt, um einen in Havanna und einigen anderen Städten festgestellten starken Anstieg von Coronaneuinfektionen einzudämmen. Der 11,2 Millionen Einwohnern zählenden Inselrepublik war es bisher weltweit mit am besten gelungen, das Virus in Schach zu halten. Die täglichen Neuinfektionen konnten auf ein Minimum reduziert werden, und die Zahl der Todesopfer liegt mit knapp 0,8 pro 100.000 Einwohner weit unter den Werten anderer Länder der Region. Die Statistik der Johns-Hopkins-Universität bescheinigte Kuba am Freitag mit bisher 3.806 Infizierten, von denen 3.195 als geheilt gelten und 92 verstorben sind, eine noch immer günstige Situation.

Gesundheitsminister José Ángel Portal schlug jedoch Alarm, weil allein auf den vergangenen Monat mehr als 1.200 Neuinfektionen entfallen waren. Francisco Durán García, der Direktor für Epidemiologie des Gesundheitsministeriums, bezeichnete die Situation nach einem Ausbruch in Havanna als besorgniserregend. Ohne energische Maßnahmen werde das Erreichte in Frage gestellt, warnten Experten. Deshalb werde zunächst für die Zeit vom 1. bis zum 15. September eine teilweise Ausgangssperre für die Hauptstadt verhängt, kündigte Havannas Gouverneur Reinaldo García an. Zwischen 19 und fünf Uhr dürfen keine Personen- oder Gütertransporte stattfinden. Fahrten mit privaten Pkw und Motorrädern sind in dieser Zeit verboten.

Ausnahmeregelungen gelten für den Transport von Nahrungsmitteln und für lebensnotwendige Dienstleistungen. Betriebe, die keine unverzichtbare Produktion oder prioritäre Dienste ausführen, werden bis auf eine Mindestzahl von Mitarbeitern geschlossen. Wo möglich, sollen Beschäftigte ihre Tätigkeit in Tele- und Heimarbeit ausüben. Feiern und Veranstaltungen sind untersagt, der Reiseverkehr nach und aus Havanna wird eingeschränkt und an den zwölf Zugangspunkten zur Stadt kontrolliert. (vh)

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Am Montag hatte Kuba als erstes lateinamerikanisches Land mit der klinischen Erprobung eines eigenen Impfstoffes gegen SARS-CoV-2 an zunächst 20 Freiwilligen zwischen 19 und 59 Jahren begonnen. Da in den ersten 48 Stunden außer einem nicht ungewöhnlichen leichten Schmerz an der Einstichstelle keine unerwünschten Nebenwirkungen aufgetreten seien, werde das im Finlay-Institut für Impf­stofforschung entwickelte Serum mit der Bezeichnung »Soberana 01« am kommenden Montag zusätzlich 20 Probanden im Alter zwischen 60 und 80 Jahren injiziert, kündigte Vicente Vérez, der Direktor der Einrichtung, an. Danach würden die Tests bis zum 30. Oktober in einer zweiten Phase mit Hunderten weiteren Freiwilligen fortgesetzt und die Ergebnisse am 15. Februar 2021 veröffentlicht werden, erklärte Vérez am Mittwoch. Er teilte außerdem mit, das international renommierte Institut hoffe, bereits im Oktober mit den klinischen Studien für einen zweiten Impfstoffkandidaten beginnen zu können. 

Trotz der seit Monaten ständig verschärften US-Blockade Weiterlesen Erfolg mit Symbolkraft

Reichsflaggen vor unserem Parlament – die Gefahr ist real

  • Wie erwartet sammelte sich am Samstag auf den Straßen Berlins eine wilde Mischung von Demonstrierenden.
  • Es gab unerträgliche Bilder – doch insgesamt ging der Tag glimpflich aus.
  • Doch von ihm kann eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie ausgehen, kommentiert RND-Reporter Jan Sternberg.

Berlin. Reichsflaggen auf der Treppe des Reichstagsgebäudes. Das fängt zwar beides mit derselben Silbe an, ist aber dennoch ein unerträglicher Anblick. Rechtsextreme und Reichsbürger nutzten am Samstagabend, dass das Haus unserer parlamentarischen Demokratie zeitweise fast ungeschützt war, durchbrachen Absperrungen und schafften es bis direkt vor den Eingang. Am Ende sollen ihnen auf den letzten Stufen nur noch drei Polizisten gegenüber gestanden haben, die das Gebäude schützten.

Die meisten Demonstrierenden in Berlin bekamen davon nichts mit. Sie hörten friedlich den Reden vor der Siegessäule zu, auf denen die Veranstalter von “Querdenken” nicht weniger als die Aufhebung aller Corona-Maßnahmen, den Rücktritt der Regierung und auch die Abschaffung des Parlamentarismus forderten.

Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik haben am Samstagabend eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen und sind auf die Reichstagstreppe gestürmt.  @ Quelle: Fabian Sommer/dpa

Ist das jetzt dasselbe? Gehört es zusammen?

Nein. Und: Leider ja. Die Achtsamkeits-Rebellen von “Querdenken” sind in ihrer Art nicht allzu weit entfernt von Klima-Radikalen wie “Extinction Rebellion”, die im vergangenen Jahr die Siegessäule lahmlegten. Eine oft schräge Ausprägung von demokratischer Dringlichkeit, die auf legitimen Interessen fußt.

“Wir wollten doch friedlich bleiben”

Gewalt suchten andere. Sie versammelten sich vor der russischen Botschaft und vor dem Reichstag und waren ideologisch klarer zuzuordnen. Rechtsradikale und Reichsbürger aber mischten sich auch unter die großen Veranstaltungen. Sie werden diesen Tag als ihren Erfolg verkaufen und die Bilder auf der Reichstagstreppe als ihren Sieg. Ihr letzter Sieg war Chemnitz 2018, als Neonazi-Hooligans aus dem ganzen Bundesgebiet einer überforderten Polizei gegenüberstanden. Unter den Krawallmachern: die späteren mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Man muss jetzt nicht raunen, aber die Gefahr ist real.

Viele der eher bürgerlichen Corona-Protestler sind hingegen ohne große Demo-Erfahrung nach Berlin gekommen. Als sie am Abend zu ihren Sonderbussen strömten, kommentierten sie auf den sozialen Netzwerken auch die Bilder vor dem Reichstag: “Wir wollten doch friedlich bleiben”, schreibt einer. “Das waren wir nicht, Gewalt lehnen wir ab”, antwortet ein anderer.

Das kann der Anfang sein – und auch der Anfang einer Hoffnung. Bisher haben die “Querdenken”-Organisatoren Rechtsextreme umarmt, lehnten jede Abgrenzung ab. Ihre Basis scheint schlauer zu sein.

Sorgen wurden wahr: Corona-Demo mit “Sturm auf den Reichstag”

  • Missachtung der Hygieneregeln, Gewalt gegen Polizisten und ein versuchter Sturm auf den Reichstag.
  • Die Berliner Corona-Demo hat die Sorgen der vergangenen Wochen eindrucksvoll bestätigt.
  • Unter den 38.000 Demonstranten waren erneut zahlreiche Rechtsextreme und Reichsbürger.

Berlin. Eigentlich soll es am Samstag in Berlin um die Corona-Maßnahmen in Deutschland gehen. Die Gruppe aus mehreren Hundert Menschen, die am Vormittag vor der US-Botschaft auf dem Pariser Platz steht, hat jedoch offenkundig anderes im Sinn. Immer wieder rufen die Demonstranten dort im Chor das Wort “Friedensvertrag”. Sie schwenken Fahnen des Deutschen Kaiserreichs, der USA und Russlands. Eine Frau hält eine Wahlkampffahne für Donald Trump vor ihren Körper. Es sind Reichsbürger und Anhänger der Qanon-Verschwörungserzählung, die sich hier vor dem Brandenburger Tor versammelt haben. Menschen, die fest daran glauben, dass Deutschland noch immer von den Alliierten besetzt und kein souveräner Staat sei – und außerdem nicht einmal einen Friedensvertrag habe. Vor der US-Botschaft fordern sie deshalb die Unterzeichnung eines solchen.

Diese Reichsbürger sind unter den laut Polizeiangaben 38.000 Demonstranten, die sich in der Hauptstadt versammelt haben, nur eine Minderheit. Und doch sind sie am sichtbarsten. Zusammen mit Tausenden weiteren Demonstranten sorgen sie außerdem dafür, dass sich fast alle Sorgen der vergangenen Wochen bestätigen: kein Mindestabstand unter den Demonstranten, keine Masken. Dafür rechtsextreme Ideologie, Aggression und Gewalt.

Hippies und Holocaustleugner

Während vor der US-Botschaft noch an die vermeintlichen Besatzer plädiert wird, soll fast zwei Kilometer weiter am Ende der Friedrichstraße der offizielle Demonstrationszug beginnen. Tausende Menschen strömen vom Brandenburger Tor dorthin, füllen die Straßen. Sie tragen Protestschilder gegen Corona-Verordnungen und Mundschutzmasken, gegen Impfungen, Gesundheitsminister Jens Spahn und den Multimilliardär und Philanthropen Bill Gates. Wie bereits auf der ersten großen Corona-Demo der Initiative Querdenken in Berlin am 1. August fügen sich all diese Menschen zu einem ungewöhnlich Weiterlesen Sorgen wurden wahr: Corona-Demo mit “Sturm auf den Reichstag”

Mit der Reichsflagge am Reichstag Nur drei Polizisten standen den Rechten im Weg – Politik reagiert bestürzt

Ein Video, das auf Twitter verbreitet wird, zeigt wie sich drei Polizisten den Demonstranten in den Weg stellen.Foto: Screenshot Twitter / Antifa Zeckenbiss

Im Zusammenhang mit den Corona-Demonstrationen wollte eine Gruppe Rechtsextremer den Reichstag stürmen. Die Polizei war sichtlich überfordert. 

Politiker fast aller Parteien haben sich bestürzt gezeigt über die Ereignisse am Berliner Reichstag während der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. 

„Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Bild am Sonntag“.

Am Samstagabend durchbrachen mehrere hundert Menschen – augenscheinlich aus dem rechtsextremen Milieu, aus der Reichsbürgerszene und vom AfD-Nachwuchs „Junge Alternative“ – eine Absperrung am Reichstagsgebäude und stürmten die Treppe hoch bis vor den Eingang. Polizeibeamte drängten die Menschen mit Mühe zurück. Die Polizei setzte Pfefferspray später ein, es kam zu Rangeleien. Am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben. 

Bei den Demonstranten waren auch die von Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen zu sehen. Die Polizei löste die Demo dann auf. Einsatzkräfte räumten den Platz vor dem Reichstagsgebäude und schoben die Demonstranten weg.

Reichstagssturm: Nur noch drei Polizisten stehen den Demonstranten im Weg

Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Nur drei Polizisten Weiterlesen Mit der Reichsflagge am Reichstag Nur drei Polizisten standen den Rechten im Weg – Politik reagiert bestürzt