»Es hat sich angefühlt wie Engelschöre«

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Würden Sie diese jungen Herrn auf Ihr Dorffest einladen? Die Rapper Testo (l.) und Grim104 (r.)

Zugezogen Maskulin sind die Berliner Rapper Testo (Hendrik Bolz, aufgewachsen in Stralsund) und Grim104 (Moritz Wilken, großgeworden in Friesland; beide 32). Am Freitag erschien ihr viertes Album »10 Jahre Abfuck«.

Auf dem neuen Album »10 Jahre Abfuck« blicken Sie, Testo und Grim104, auf zehn Jahre als Rapduo Zugezogen Maskulin zurück. Kennengelernt haben Sie sich Anfang 2010 als Praktikanten beim Onlinemagazin Rap.de. Wie sah damals der Arbeitsalltag aus?

Testo: Morgens erst mal schauen, was so abgeht im US-Rap: TMZ, Thisis50.com, Worldstarhiphop – alles in den Google-Translator reinkopieren und News schreiben.

Grim104: Gerne US-Rechtsbegriffe verwenden und im Laufe des Tages immer dieselbe Meldung abstufen: T. I. ist mit ’ner Waffe entdeckt worden, T. I. verstößt gegen Bewährungsauflagen …

Staiger: Wenn ich den Track »Rap.de« höre, muss das für euch eine traumatische Zeit gewesen sein. War es so, dass ihr erst durch Rap.de in der Großstadt angekommen seid?

Testo: Ich hatte keine Ahnung von Berlin. Die Uni hatte mir einen Prospekt vom Studentendorf Schlachtensee geschickt, das ist in Zehlendorf: Neun-Quadratmeter-Zimmer, 170 Euro im Monat. Da dachte ich: Neun Quadratmeter klingt eigentlich viel, und 170 Euro klingt wenig. Zehlendorf, dachte ich, das kenne ich doch von diesem Disstrack von Bushido gegen Fler: »Damals schon in Zehlendorf, nix bist du« und so – da dachte ich: Dann wird das schon ein cooler Gangsterbezirk sein.

Ich bin jedes Wochenende nach Hause gefahren, nach Stralsund, weil ich da noch meine geilen Sauf-Atzen hatte.

Grim104: Ich habe auch nach diesem wilden, toughen Berlin gesucht. An einen Abend kann ich mich erinnern, da bin ich Prenzlauer Allee ausgestiegen und in der Hoffnung rumgelaufen, dass irgendwas passiert.

Herr Staiger, Sie waren damals Chefredakteur bei Rap.de, was war Ihr Eindruck von den beiden?

Staiger: Wir haben ja randommäßig Praktikanten genommen. Plötzlich waren halt irgendwelche Typen da, denen man beigebracht hat, wie man Meldungen abfasst. Aber im Rückblick war das eine Ansammlung außergewöhnlichster Persönlichkeiten.

Grim104: Mir fallen Leute ein, von denen ich nie wieder was gehört habe. Was macht Tinka jetzt?

Staiger: Mit Tinka hab ich mich neulich bei Instagram befreundet. Ich sei in einem langen Arbeitsleben immer noch ihr Lieblingschef, schrieb sie. Aber ich muss unglaublich oft gebrüllt haben.

Grim104: Hast du auch.

Im Song »Rap.de« gibt es einen Part von Testo, in dem eine Panikattacke bei einem 50-Cent-Konzert mit Schnaps bewältigt wird.

Testo: Panikattacken hatte ich schon in Stralsund. Und Alkohol habe ich medizinisch verwendet. Wenn’s mir schlecht ging, wenn ich Angst hatte, Weiterlesen »Es hat sich angefühlt wie Engelschöre«

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Zugezogen Maskulin: 10 Jahre Abfuck

musikexpress.de

Thomas Winkler

Yo, das hat sich dann wohl noch keiner getraut im deutschen Rap. An sich selbst zweifeln, den Sinn des Rappens, ja das Business grundsätzlich hinterfragen, über den Ausstieg aus der ganzen Scheiße nachdenken, und die Grundsatzfrage stellen: „Macht fame wirklich glücklich?“ Sicherlich, punktuell findet sich der Zweifel am eigenen Tun bei vielen Kollegen, aber ein ganzes Album lang?

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Zugezogen Maskulin haben es gewagt, pünktlich zu ihrem zehnjährigen Bestehen. Klar, ganz kann das Berliner Duo nicht aus seiner Haut. Wörter wie „Fotzen“ oder „Titten“ fallen trotz aller Kontemplation, und es wird immer noch fleißig gedisst. DJ Ötzi, Sido, Fler oder Staiger kriegen ihr Fett ab, aber eben auch „echte Männer“, „König Alkohol“ und „Der Erfolg“. Aber die Punk-Attitüde, die Testo und grim104 sonst in hasserfüllte Reime verwandelt haben, ist stark zurückgefahren.


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Stattdessen werden Selbstmordgedanken, Depressionen, dunkle Kindheitserinnerungen, Sexsucht, Zukunftsangst und sogar der Klimawandel in aufgeweckten, aber durchaus auch tückischen Reimen verarbeitet. Schlussendlich ist es der Sinn des Lebens, dem ZM auf die Spur zu kommen versuchen, aus den Sturm-und-Drang-Pöblern sind Erwachsene geworden, die immer noch sehr gern pöbeln, aber nicht mehr nur von anderen angepisst sind, sondern auch von sich selbst. „Ach du Scheiße, so wollte ich niemals werden“, rappt Testo in „Exit“. Ja Scheiße, man kann es sich nicht immer aussuchen.

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Zugezogen Maskulin: Die Verrohung und Verblödung der Menschheit

zeit.de

Eine Rezension von Daniel Gerhardt

Zehn Jahre Deutschrap, Rechtsruck und sonstiger Abfuck: Das Berliner Rapduo Zugezogen Maskulin reflektiert auf seinem neuen Album die erste Dekade seiner Karriere.

Zugezogen Maskulin: Die journalistische Perspektive haben sie nie ganz abgelegt: Hendrik "Testo" Bolz und Moritz "Grim104" Wilken sind Zugezogen Maskulin.
Die journalistische Perspektive haben sie nie ganz abgelegt: Hendrik „Testo“ Bolz und Moritz „Grim104“ Wilken sind Zugezogen Maskulin.© Rob Kulisek

Das neue Album von Zugezogen Maskulin heißt 10 Jahre Abfuck, und natürlich ist das kein Grund zum Feiern. Zeitgleich mit Thilo Sarrazins Zweitkarriere ging das Berliner Rap-Duo an den Start. Auf zwei Alben und einigen weiteren Kleinveröffentlichungen haben Hendrik „Testo“ Bolz und Moritz „Grim104“ Wilken seitdem beschrieben, wie alles den Bach runtergeht. Deutschrap, den sie als weitgehend unrettbare Reproduktionsmaschine von ebenso spätrömischen wie -kapitalistischen Zuständen erleben, das Land drum herum, das sein rechtes Gesicht immer offener zeigt, und natürlich auch die eigenen Lungenfunktions- und Leberwerte. Es war scheiße, es war dumm, und jetzt müssen wir da noch einmal durch.

Ganz am Anfang waren Zugezogen Maskulin Rapjournalisten, zumindest fast. Praktikum beim Szenemagazin, erste Begegnungen, Offenbarungen und Enttäuschungen. Den Journalistenblick haben Bolz und Wilken danach nie wieder aus ihrer Musik herausbekommen. Einerseits beherrschen sie den Abriss- und Abfuck-Rap, der in Deutschland momentan die besten Karriereaussichten bereitstellt, andererseits kommt bei ihnen zum Infight immer auch die Vogelperspektive hinzu. Zugezogen Maskulin sind so etwas wie die liebenswürdigen Bruchpiloten des Deutschrap, aber auch dessen strenger Blick. Sie beobachten, klagen an, überzeichnen und parodieren. Sie sind ein eigenes Genre innerhalb des Genres.

Schon mit ihrem zweiten Album Alle gegen alle kamen Zugezogen Maskulin im Jahr Weiterlesen Zugezogen Maskulin: Die Verrohung und Verblödung der Menschheit