„Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen“, so der Grünen-Politiker Boris Palmer
Zuerst war das große Schweigen. Corona kam mehr als ungelegen. Gerade war doch die sich zuspitzende Situation an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland das Thema. Flüchtlinge – endlich wurde wieder tagesaktuell über Flüchtlinge geredet. Der „große Austausch“ konnte wieder herbei fabuliert werden und die ganze rechtsextreme Szene konnte ihre Klientel und ihr Geschäftsmodell wieder bedienen. In den Parlamenten in ganz Europa wurden alle anderen Parteien bezichtigt, noch mehr Flüchtlinge ins Land bringen zu wollen, in rechtsextremen Magazinen wurde langatmig das Ende Europas herbei geraunt, in den sozialen Medien wurden wilde Videos und Memes verschickt und der aktivistische Teil der extremen Rechten machte sich auf, um in Lesbos heroisch die Grenze Europas und damit das Abendland an sich zu verteidigen. Viel mehr als eine Fotoaktion an einem Abhang Richtung Autobahn kam dabei nicht heraus, aber viel Inszenierung bringt auch viele Spenden. Das war das normale Tagesgeschäft der extremen Rechten. Dann kam Corona.
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Mit Corona kam das große Schweigen. Ein Virus. Eine medizinische Krise. Keine Soldat_innen, sondern Ärzt_innen, Pfleger_innen, Reinigungspersonal und Supermarktkassier_innen im Fokus in einem Krieg, der kein Krieg, sondern eine Pandemie ist. Der Tod ereilt einen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in Altersunterkünften und auf Intensivstationen. Die extreme Rechte hat Weiterlesen Der Hass auf alles Schwache
Warum die kapitalistische Reichtumsproduktion zur Disposition steht
Es gehört zu den merkwürdigen Nebenwirkungen der Corona-Krise, dass diese schon in wenigen Wochen mehr zur Verbesserung des Weltklimas beigetragen hat als die gesamte Klimapolitik der letzten Jahre. Weil der Autoverkehr in den großen Städten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen, der Flugverkehr extrem reduziert worden ist und viele Produktionsstätten stillstehen, rechnet das Global Carbon Project damit, dass die CO2-Emissionen im Jahr 2020 um rund 5 Prozent sinken dürften.
Wie es scheint, könnte es sogar der deutschen Regierung trotz ihrer zahnlosen klimapolitischen Maßnahmen gelingen, das Ziel einer Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes um 40 Prozent gegenüber 1990 doch noch zu erreichen (Süddeutsche Zeitung, 24.3.2020).
Kurzzeitige Bremsung
Allerdings gibt es keinerlei Anlass zur Hoffnung, die Corona-Krise könne dauerhaft zu einer Reduktion der umweltschädlichen Emissionen und zu einer Begrenzung der Erderwärmung führen. Denn der vorübergehende Stopp der wirtschaftlichen Aktivitäten in großen Teilen der Welt hat ja rein gar nichts an der Grundlogik der kapitalistischen Produktionsweise geändert, die von dem Selbstzweck zur endlosen Vermehrung des abstrakten Reichtums, dargestellt im Geld, angetrieben wird. Der aus diesem Selbstzweck resultierende Wachstumszwang wird durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Weiterlesen Klimakrise und gesellschaftliche Transformation in Zeiten von Corona
Festzuhalten ist, gegen alle Beschwichtigungen einer „Corona-Wirtschaftskrise“, dass die Krise bereits Mitte des letzten Jahres in den Bilanzbüchern der Industrie angekommen war; angekündigt hatte sie sich schon viel länger. Erinnert sei an die noch bei schönstem Wetter im Herbst 2019 angekündigten Entlassungen in der deutschen Automobilindustrie, die sich in Summe auf ca. 100.000 Jobs beliefen; ferner auch daran, dass die deutsche Automobilproduktion 2019 auf den niedrigsten Stand seit 1997 gesunken war. Die Arbeitslosenzahlen und der DAX mussten früher oder später folgen.
Die Stilllegung der überflüssigen Produktionskapazitäten, für die kein Absatz zu finden war, stand Anfang 2020 auf der Tagesordnung. Ein langsamer, linearer Schrumpfungsprozess ist aus keiner der bisherigen Krisen bekannt, immer erfolgte die Vernichtung des keinen Profit mehr produzierenden Kapitals als großer Krach. Je labiler das System wird – je geringer die Profitmargen der Industrie, je geringer ihre aufgeschatzen Bargeldreserven –, ein desto kleinerer externer Störfaktor genügt, Weiterlesen Coronavirus und Wirtschaftskrise
Wir Nördlinger Pazifisten, linke Gewerkschafter*Innen, fortschrittliche Lohnabhängige möchten uns nicht sang- und klanglos vom 1. Mai verabschieden.
Wir laden zum gewaltfreien Maienspaziergang ein, beginnen um 14.00 Uhr vor dem Daniel – dem Kirchturm in der Stadtmitte.
Zwanglos, coronagerecht, leise – aber nicht lautlos. Wir tragen unsere Fahnen und Banner spazieren, jeder nach seiner Fasson.
Der 1. Mai wurde von den Altvorderen unter Opfern erkämpft. Lassen wir uns diesen heuer nicht von den Arbeiteraristokraten wegnehmen.
Zu seinerzeitigen Anfragen an das Google-Kalendarium der merkenswerten Ereignisse in 2020 gehörte diese: „Wo ist 2020 schulfrei?“ Bezug dazu war der „75. Jahrestag … der Befreiung vom Nationalsozialismus“. Richtige Quiz-Antwort: nur in Berlin. Für die Bundeshauptstadt machte eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus – ohne Ausräumen der fortbestehenden Dissonanzen zwischen den politischen Parteiungen zum besagten Datum – den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag. Aber auch das nur für 2020.
Beispielhaft für die Auseinandersetzungen, die ohne große Volksbeteiligung dem hier nun arbeitsfreien Werktag vorausgingen, hatte die Berliner B.Z. am 11. Dezember 2018 unter der Überschrift „Sollte der 8. Mai 2020 bundesweit zum Feiertag erklärt werden?“ das Für und Wider der Argumente unterbreitet.
Redakteur Trautwein: „Ja, dieser hat Deutschland geprägt. Diese Niederlage war der vielleicht größte Triumph Deutschlands. Als am 8. Mai 1945 in Karlshorst die bedingungslose Kapitulation erklärt wurde, war das nicht nur ein Sieg der Alliierten, es war die Befreiung von Terror, Unrecht und Diktatur.“
Redakteur Ritzmann dagegen: „Nein, Unsinn nicht nachahmen. […] Zwar gilt noch immer Richard von Weizsäckers Diktum, nach dem dieses Datum ein Tag der Befreiung war. Befreiung vom Faschismus, von einer mörderischen Diktatur, vom Kriegsalltag. Aber er fügte auch hinzu: Es ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern.“ Dies „Diktum“ wird zum Schlüsselsatz des vorliegenden Beitrages.
Für die US-amerikanische Besatzungspolitik war die Direktive FCS 1067 von April 1945 verbindlich, die übrigens Weiterlesen Herbert Bertsch: 8. Mai
Rezension des neuen Buches von Marc Friedrich und Matthias Weik
von Richard Aabromeit
Es gibt zwar in der einschlägigen Literatur zur zeitgenössischen Finanzwelt noch weitaus schlechtere Texte, aber Friedrich/Weik sind auffällig bemüht, das von ihnen zusammengetragene Material möglichst katastrophisch zu interpretieren und anschließend das Schlimmste mit einer Mixtur aus banalen Ratschlägen und Gemeinplätzen abwenden zu wollen. Das alles ohne auch nur den Anschein einer gründlichen Analyse zu hinterlassen.
»Winter is coming« (S. 16; ein Zitat aus ›Game of Thrones‹, svw.: »Jetzt kommen wirklich schlechte Zeiten«) – und: »Der größte Crash aller Zeiten steht uns bevor und wir können ihn nicht mehr verhindern!« (S. 13; Hervorh. i. Orig.). So unken die beiden Autoren in der heute üblichen, medialen Katastrophen-Manier.
Das Schema
Friedrich/Weik teilen ihr Buch grob in drei Teile: Die ersten zwölf (der insgesamt 16) Kapitel, von S. 11 bis S. 243, bauen ein großes Schreckensszenario über die Zukunft der Welt, Europas, und insbesondere Deutschlands auf. Hier findet sich eine Mixtur aus wichtigen Fakten, angstmachenden Andeutungen ohne Fundament und aus an Demagogie grenzendem Trash: »Wir befinden uns im Endstadium, und eine Rettung ist nicht mehr möglich« (S. 16). Letzteres soll verängstigen und auf das Folgende neugierig machen, denn Friedrich/Weik versprechen gleich in der nächsten Zeile: »und noch kann man sich darauf vorbereiten« (ebd.; Hervorh. i. Orig.). Ein langes 13. Kapitel widmen sie dann ihren »Lösungen« (S. 245ff.). In den letzten beiden Kapiteln offenbaren sie schließlich ihre reichlich oberflächliche Grundeinstellung, welche in der Forderung gipfelt: »Maschinen an die Macht – an die Macht der Politik« (S. 370). Zwischen dem Kapitel mit den »Lösungen« und der Darstellung ihrer politischen Positionen schieben sie noch ein kleines Drohszenario: »Nach der Demokratie droht die Diktatur« (S. 355), das allerdings nicht allzu viel Substanz hat.
Bei wesentlichen Politikfeldern tobt in der Partei Die Linke ein Richtungsstreit
Annette Groth ist ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag und engagiert sich in der Friedensbewegung
Der Soziologe Thomas Haury hat eine Broschüre »Antisemitismus von links. Facetten der Judenfeindschaft« herausgebracht, die von der Bundeskoordination »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« genutzt wird. Was kritisieren Sie daran?Die Broschüre suggeriert, dass Antisemitismus vorwiegend ein Problem der Linken sei. Dass die große Mehrzahl der antisemitischen Angriffe von Rechten kommt, wird nicht erwähnt. Suggeriert wird auch, dass »Linkssein« gleichzusetzen ist mit Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, und wer Israel kritisiert, Antisemit ist. Auch Kritiker des »Raubtierkapitalismus« wie z. B. die »Occupy«-Bewegung haben für Haury eine »deutliche strukturelle Nähe zur antisemitischen Weltsicht«, insbesondere wegen der Verwendung von Tiermetaphern wie »Heuschrecken«. Wer allerdings behauptet, dass jede Kritik am Kapitalismus antisemitisch »angehaucht« sei, verharmlost damit den Antisemitismus.
In der Broschüre wird auch der Vorwurf erhoben, dass »einzelne Funktionsträger« Ihrer Partei sich »gegen die Anerkennung Israels« ausgesprochen hätten. Zudem habe man sich mit Hamas und Hisbollah solidarisiert, »obwohl deren Islamismus, brutale Herrschaftsmethoden und Frauenfeindlichkeit nicht mit linken Idealen zusammenpassen«. Was entgegnen Sie?
Das ist ausgemachter Blödsinn. Aber Haury weiß genau, dass die Beschuldigung, Israel nicht als Staat anzuerkennen, als ein wichtiger Beweis für Antisemitismus angesehen wird. »Brutale Herrschaftsmethoden« werden immer von Linken kritisiert. Haury reißt irgendwelche Behauptungen aus dem Zusammenhang, die als Beleg für Antisemitismus präsentiert werden. Das ist eine höchst fragwürdige Methode.
Muss eine Partei nicht damit leben, hart kritisiert zu werden, wenn sie sich in Fragen von Krieg und Frieden mit Bezug zum Nahen Osten derart eindeutig positioniert?
Vielmehr kritisieren uns linke, friedensbewegte Israelis und Palästinenser dafür, dass wir als Partei die Besatzungspolitik, die täglichen Menschenrechtsverletzungen, die Inhaftnahme und Folter von Kindern und Jugendlichen und aktuell die drohende Annexion des Westjordanlandes kaum anprangern. Wir lassen diese Menschen, die teilweise für ihr Engagement für Gerechtigkeit bis aufs Äußerste bedroht werden, im Stich. Von Ausnahmen abgesehen, schweigt Die Linke zu diesen Verbrechen. Die wenigen, die sich nicht den Mund verbieten lassen, werden oft von den eigenen Leuten kritisiert. Das ist skandalös. Ich wünschte mir, dass sich die Partei »eindeutig positionieren« würde, das ist die Aufgabe einer internationalistischen Friedenspartei. Aber da versagt sie leider kläglich.
Die besagte Broschüre wurde in der Trägerschaft der »Aktion Courage« verantwortet und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben« gefördert. Warum kritisieren Sie das?
Weil durch das Ministerium inhaltlich keine Prüfung der Broschüren stattfindet, die veröffentlicht werden. Das halte ich für verantwortungslos, weil aus unseren Steuergeldern eine Publikation finanziert wird, die manipulativ und verfälschend ist. Das ist unredlich, ja sogar gefährlich.
Welche Methoden schlagen Sie vor, um Antisemitismus entgegenzutreten?
Man muss viel stärker gegen Neonazis und rechtsextreme Netzwerke vorgehen, die antisemitisches Gedankengut verbreiten und Gewaltakte verüben, siehe Halle. Eine rigorose Strafermittlung und -verfolgung unterbleibt in vielen Fällen, wie der NSU-Terror, der Mord an Walter Lübcke und viele andere Straftaten zeigen. Statt dessen werden Linke verfolgt, während Neonazis oft straffrei davonkommen.
Die staatliche Finanzierung von einschlägigen Organisationen und von Broschüren, die Faktenfälschung betreiben, muss aufhören. Kritik an Israels Besatzungspolitik darf weder von Politik noch von Medien als Antisemitismus gebrandmarkt werden. Zwischen Judentum und Israel muss differenziert werden. Auch viele Juden und Jüdinnen kritisieren Israels Politik aufs schärfste und werden als Antisemiten diffamiert. Das ist absurd!
Welches EU-Land stützt seine Wirtschaft am meisten gegen die Folgen der Coronakrise? Das kann nicht einmal mehr die zuständige EU-Kommissarin Vestager sagen. Dabei hängt davon sehr viel ab.
Umso eifriger sind Kanzlerin Merkel & Co., wenn es um die Stützung der eigenen Wirtschaft geht. Mit branchenspezifischen Programmen, Kredit-Garantien und anderen Beihilfen greifen sie massiv in den Wettbewerb ein.
In normalen Zeiten wird dies von Wettbewerbskommissarin Vestager strikt überprüft. Doch es sind keine normalen Zeiten. Das Beihilferecht ist gelockert worden, Vestager winkt ein Stützungsprogramm nach dem anderen durch.
Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, kann dies hier tun (PDF der EU-Kommission). Vestager tweetet gelegentlich auch ‘mal eine Übersicht. Allerdings fehlt dabei das Wichtigste: die Zahlen, die den Umfang der Stützung verdeutlichen.
Auf meine Nachfrage teilte die EU-Kommission mit, dass die EU-Regierungen nicht verpflichtet sein, ein Budget für ihre Maßnahmen mitzuteilen. Deshalb könne man keine Zahlen liefern. Vestager hat den Überblick verloren!
Das ist erstaunlich und ärgerlich, denn von den Beihilfen hängt sehr viel ab. Zum einen geht es um das Überleben ganzer Branchen. Zum anderen liefern sich die EU-länder einen regelrechten Überbietungs-Wettbewerb.
So hat Deutschland mit mehr als einer Billion Euro und teilweise 100-prozentigen Kreditgarantien den Vogel abgeschossen. Damit kann das größte EU-Land alle anderen “platt” machen, Italien und Spanien können nicht mithalten.
Die Folgen dürfte man erst in einigen Monaten oder Jahren sehen. Aber jetzt schon wäre es wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen – denn wie will man sonst einen vernünftigen EU-Rettungsschrim aufspannen?
Studie: Bayer und BASF exportieren in der EU verbotene Unkraut- und Schädlingsvernichtungsmittel
Zwei Landwirte versprühen Pestizide auf einem Gemüsefeld.
Foto: Wang Peng/XinHua/dpa
Die Zahlen sind eindrucksvoll. Bayer ist mit einem Umsatz von 10,6 Milliarden US-Dollar die Nummer zwei auf dem globalen Pestizidmarkt, BASF mit 6,9 Milliarden US-Dollar die Nummer drei. Beide Unternehmen bieten eine breite Produktpalette von Pestiziden an, Deutschland ist nach China das zweitwichtigste Exportland für Agrargifte und Schädlingsbekämpfungsmittel.
Das Geschäft mit den oftmals toxischen Wirkstoffen hat allerdings eine Kehrseite, und auf die weist die Studie »Gefährliche Pestizide« hin, die kurz vor der aufgrund der Corona-Pandemie am kommenden Dienstag nur virtuell stattfindenden Bayer-Hauptversammlung vorgelegt wurde. Danach müssen jedes Jahr mindestens drei Millionen Menschen wegen einer akuten Pestizidvergiftung behandelt werden, 20 000 bis 40 000 sterben daran. 99 Prozent der Fälle ereignen sich in Afrika, Asien und Lateinamerika. Die Wirkstoffe für die oftmals vor Ort zusammengemischten Giftcocktails kommen zu großen Teilen aus Europa – unter anderem von Bayer und BASF.
»Auf südafrikanischen Zitrusfarmen haben wir verschiedene BASF-Produkte gefunden, die in den EU-Mitgliedsstaaten nicht zugelassen sind. Auf denselben Farmen führen Vergiftungen beim Sprühen dazu, dass Arbeiter*innen im Krankenhaus behandelt werden müssen«, sagt Jan Urhahn, Agrarexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die die Studie zusammen mit den Einwicklungsnetzwerken Misereor und Inkota am Donnerstag veröffentlicht hat.
Sicheres Sprühen in Entwicklungs- wie Schwellenländern ist ein Mythos, wie das Beispiel Brasiliens zeigt, wo nach wie vor toxische Cocktails aus Flugzeugen versprüht werden – oft während die Arbeiter*innen auf den Plantagen Bananen, Ananas und Co. ernten. Unstrittig ist, dass die Exporteure der Pflanzen- und Schädlingsgifte es besser wissen könnten. »Konzerne produzieren so lange, wie es sich lohnt«, sagt Susan Haffmans vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN). Sie plädiert gemeinsam mit den Autoren der Studie für ein deutsches Exportverbot für in der EU nicht genehmigte Pestizidwirkstoffe. Frankreich habe vorgemacht, wie es gehe, so Haffmans. Dort ist der Export von in der EU verbotenen Pestiziden illegal. Sollte Deutschland nachziehen, so die Hoffnung, könne eine EU-weite Regelung auf den Weg gebracht werden. Für die deutschen Pestizidkonzerne wäre das eine negative Nachricht, für die Landarbeiter im globalen Süden ein Segen.
Bayer und BASF haben die in einer Studie geäußerten Vorwürfe zurückgewiesen. »Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus und stellt mitnichten einen Doppelstandard dar«, sagte ein Sprecher von Bayer am Donnerstag. Ähnliches ließ BASF verlauten.Kommentar Seite 8
«Tanzen mit Honecker» (Foto: Privatarchiv Joachim Schmidt; AAB)
Mitte 2017 erhielt die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Anfrage des südafrikanischen Museums Liliesleaf. Auf dem Gelände der alten Farm Liliesleaf befand sich zwischen 1961 und 1963 ein geheimer Treffpunkt südafrikanischer Anti-Apartheid-Aktivist*innen. Bei einer Razzia der südafrikanischen Geheimpolizei wurden 19 Personen, darunter Nelson Mandela und Denis Goldberg, festgenommen und zu langjährigen und lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Seit vielen Jahren wird auf dem Gelände durch Ausstellungen und Veranstaltungen an den Widerstand gegen das Apartheid-Regime erinnert.
Die Anfrage kam von Nicolas Wolpe, dem Sohn des bekannten Anti-Apartheid-Aktivisten Harold Wolpe und langjährigen Leiter des Museums. Unter dem Titel «Memory against forgetting» werden in Liliesleaf die vielfältigen Facetten der internationalen Solidarität dokumentiert, die neben der Massenmobilisierung, der Untergrundarbeit und der Gründung des bewaffneten Arms des ANC, des Umkhonto we Sizwe, als vierte entscheidende Säule im südafrikanischen Befreiungskampf gilt. Nach Schweden und Norwegen sollte als dritter Staat die DDR einen eigenen Ausstellungsraum erhalten.
Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist die Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Solidarität kein einfaches Unterfangen. Wir sind uns bewusst, dass wir es mit einem Paradox zu tun haben: Während Solidarität geleistet und «Freiheit» für die Mehrheit der Menschen in Südafrika eingefordert wurde, blieben grundlegende demokratische Rechte und menschenrechtliche Standards der eigenen Bevölkerung versagt. Dennoch haben sich unzählige Personen aus Staat, Kirche und Zivilgesellschaft der DDR engagiert. Dass in der DDR internationale Solidarität staatliche Programmatik war und durchaus außenpolitischen Interessen im Kalten Krieg diente, soll dieses Engagement weder delegitimieren noch den Einsatz,
die Empathie und die Leistungen der einzelnen Akteur*innen mindern, sondern im Gegenteil mit einem kritischen Blick in all seinen Facetten beschreiben, hervorheben und wertschätzen.
Die Bedeutung der oft vernachlässigten ostdeutschen Solidaritätsarbeit in der deutschen Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung zu stärken ist ein Ziel dieser Publikation und der gleichzeitig freigeschalteten Webseitewww.apartheid-no.de. Solche Solidarität war keineswegs exklusiv. Den Kampf gegen die Apartheid unterstützten zwar nur einige wenige Staaten, aber unzählige zivilgesellschaftliche Bewegungen und Initiativen, auch in der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu ihren ostdeutschen Verbündeten im Kampf gegen die Apartheid agierten die westdeutschen Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen jedoch innerhalb eines Systems, das nicht nur große Sympathien für das Apartheid-Regime hegte, sondern es offen und offensiv unterstützte.
Apartheid No! Facetten von Solidarität in der DDR und BRD November 2019 ISBN: 978-3-948250-05-8
Übersetzung: lingua trans fair | Cornelia Gritzner
Gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der Bundesrepublik Deutschland.
Deutsche Anti-Apartheid-Solidarität Fragen stellen ANDREAS BOHNE / JÖRN JAN LEIDECKER
Facetten der Anti-Apartheid-Solidarität Einleitung ANDREAS BOHNE / BERND HÜTTNER / ANJA SCHADE
Akteur*innen, Arenen und Aushandlungen
Brüderliche Verbundenheit mit allen aufrechten Kämpfern Die Solidarität der DDR mit dem südafrikanischen Befreiungskampf ANJA SCHADE
Solidarität und Diplomatie Erfahrungen in Afrikas Frontstaaten und bei den Vereinten Nationen HANS-GEORG SCHLEICHER
«Komma, including armed struggle» Über das Engagement der DDR auf UNO-Ebene INTERVIEW MIT MATTHIAS ZACHMANN
«… für die genannten Komitees Flüge bezahlt» Zur internationalen Vernetzung der DDR-Solidaritätsarbeit INTERVIEW MIT WILLI SOMMERFELD
«Die Finnen haben uns das Papier zur Verfügung gestellt» Zur internationalen Zusammenarbeit PETER STOBINSKI
Kooperation unter der Oberfläche Prosüdafrikanische Lobbyarbeit und Propaganda in der Bundesrepublik ANDREAS KAHRS
«Wir standen wegen unserer Politik gegenüber Südafrika am Pranger der Weltöffentlichkeit» Die Politik der Bundesrepublik gegenüber Südafrika auf UN-Ebene INTERVIEW MIT HANS-JOACHIM VERGAU
«Die Suche nach dem richtigen Weg» Die Südafrika-Politik der Bundesrepublik Deutschland KLAUS FREIHERR VON DER ROPP
Zur internationalen Zusammenarbeit der westdeutschen AAB Meine Begegnungen und Erfahrungen GOTTFRIED WELLMER
Solidaritätsbewegung und Heldenverehrung Zur ambivalenten Bedeutung von Ikonen HENNING MELBER
Wie hältst du es mit der Freiheitscharta? Solidarität mit der Befreiungsbewegung zwischen Bekennertum und kritischer Solidarität LOTHAR BERGER
Motive und Mobilisierung
Sonderschichten für Nelson Mandela Erinnerungen an die Solidarität mit dem ANC PETER STOBINSKI
«Einmal haben wir eine ganze Schiffsladung Zement verschickt» Zur Verwirklichung der materiellen Solidarität INTERVIEW MIT GERDA GLIENKE
«Wir haben dann in unserer Schule Solidaritätsbasare gemacht …» INTERVIEW MIT PETRA TÜRKMEN
Gute Gesichter Nachdenken über DDR-Kinder und ihre Solidarität mit Unterdrückten ANJA MAIER
«Bücherbasar auf dem Alexanderplatz» Über die Solidaritätsarbeit der Journalist*innen INTERVIEW MIT JÜRGEN LESKIEN
«… mit dieser Präsenz» Über den Solidaritätsbasar auf dem Alexanderplatz INTERVIEW MIT KARIN SINGH
Sand ins Getriebe gestreut Boykottaktionen der bundesdeutschen Anti-Apartheid-Bewegung INGEBORG WICK
«Wir haben auch etwas gelernt» Gewerkschaftliche Solidarität mit Südafrika SIGRID THOMSEN
Karitatives Engagement vs. politische Verantwortung Die evangelische Kirche der DDR und die Entwicklungsländer MARIA MAGDALENA VERBURG
Teil einer weltweiten Solidaritätsbewegung Die evangelischen Kirchen in der DDR und der Befreiungskampf in Südafrika FRIEDERIKE SCHULZE
«… dann spenden Sie kein Geld dafür» Ökumenische Jugendarbeit in der DDR INTERVIEW MIT GISELHER HICKEL
Wie politisch soll Kirche sein? Die westdeutschen Kirchen und das südafrikanische Apartheid-Regime bis 1989 SEBASTIAN TRIPP
«… somit waren wir Teil des Problems in Südafrika» Zur Rolle der EKD und MAKSA INTERVIEW MIT MARKUS BRAUN
«Dann geht doch gleich rüber» Engagement bei den «Frauen für Südafrika – gegen Apartheid» in West-Berlin INTERVIEW MIT NINI KRAATZ
Kunst, Konsum und Kultur
Kampagnen gegen die Apartheid in Ost- und Westdeutschland Plakate als Medium der Solidarität HEIKE HARTMANN UND SUSANN LEWERENZ
Zum gegenseitigen Vorteil Auftritte von Miriam Makeba in der DDR ANDREAS BOHNE
Anti-Apartheid-Pop Kontroversen um das Mandela-Konzert 1988 DETLEF SIEGFRIED
Krisen, Kritik und Kontinuitäten
An der Basis Engagement in der Anti-Apartheid-Initiative ILONA SCHLEICHER
«Keiner hat mehr gespendet, als wir unter der Treuhand standen» Über die Wendezeit INTERVIEW MIT KLAUS-DIETER PETERS
Kritische Solidarität nach 1994 Eine Bewegung erschafft sich neu SIMONE KNAPP
Unfinished business! Entschädigungsklagen von Apartheid-Opfern gegen Unternehmen MIRIAM SAAGE-MAASS / ANDREAS BOHNE
Von Cabora Bassa bis Marikana Banken und Konzerne im Kampagnen-Fokus JOACHIM BECKER
Was kommt?
Internationalismus heute Perspektiven und Probleme eines linken Grundwertes PETER WAHL
Zur Notwendigkeit eines Neuen Internationalismus Einige vorläufige Gedanken und Thesen BORIS KANZLEITER