»Wir haben keinen Bock auf dieses Insta-Insta-uffda-uffda«

Euer neues Album, das soeben erschienen ist, »Wem gehört die Angst«, kommt mir einerseits introspektiv und recht nachdenklich vor. Andererseits gibt es auch noch Momente, die an das Sloganhafte eurer frühen Songs erinnern. Etwa, wenn es zum Thema Klimawandel sinngemäß heißt: Wir haben das in der Hand, und du willst es doch auch ändern. Wer ist denn heute noch für euch dieses »wir«?
(Alle drei): Alle zusammen. Alle, die Sauerstoff haben und auch was zu essen. Alle, die nachdenken.

Elf: Unser Drummer hat zwei jugendliche Kinder und ich hab eine Nichte, die ist 19 Jahre alt. Da fragt man sich dann schon: Was werden die noch erleben? Deswegen diese Geschichte, »Hamburg und Bremen unter Wasser« und so weiter. Da denkt man echt über das »wir« nach. Tatsächlich auch durch »Fridays for Future« und den Hype, der dadurch entstanden ist, der auch ein positiver Hype ist.

Christian: Mich interessiert die Frage nach dem »wir« auch, weil ich die Individualisierung, die Vereinzelung der Menschen sehr wichtig finde, die uns alle viel angreifbarer macht. Und da fragen wir als Linke, als Punks: Gibt es das »wir« überhaupt noch? So wir wir uns das früher vorgestellt haben, als Jugendbewegung? Dass es uns als Band überhaupt noch gibt, das ist vielleicht schon ein Teil der Antwort. Dass wir versuchen, so ein »wir« auch herzustellen, wie auch immer es dann aussieht. Dieses Zusammenstehen und der Versuch, gemeinsam etwas zu entwickeln und zunächst einmal anzunehmen, man ist nicht alleine, das spielt eine große Rolle.

Elf: Zumindest kann man es versuchen. Es hat immer zu dem dazugehört, was wir gemacht haben.

Nici: Wir wollen ja auch, dass die Leute sich selber diese Fragen stellen. Und ob das so schlau ist, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Es gibt ja schließlich auch genügend Nazis auf diesem Planeten, AfD, Turbokapitalismus. Ob es da nicht besser wäre, dagegen zusammenzustehen.

Gab es für eure neue Platte einen bestimmten Anlass? Oder war es einfach das Gefühl, es hat sich genug angesammelt?
Elf: Wir hatten noch Material auf der Festplatte, das wir eigentlich gut fanden. Und heute denke ich schon: Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten. Wer weiß, wie lange man das noch machen kann. Wenn wir jetzt wieder fünf Jahre warten, hat vielleicht schon der erste keinen Bock mehr. Also ging das jetzt einen Tick schneller.

Christian: So richtig steuern kann man so einen Prozess in einer Band eigentlich kaum. Wir hatten wirklich viel Material, und da haben wir dann einfach angefangen.

Elf: Früher war es ja eigentlich auch normal, dass man quasi jährlich eine Platte macht. Heute lassen sich Bands wie Social Distor- tion zehn Jahre Zeit. Bad Religion auch, glaube ich. Na, die gehen ewig auf Tour, das kostet alles Zeit. Da kommt man zu nix mehr.

Ich hatte überlegt, ob es für euch als sehr politische Band auch den Drang gab, etwas zu kommentieren, sich wieder einzumischen.
Christian: Wir sind eher nicht so im politischen Tagesgeschäft, wie es zum Beispiel Weiterlesen »Wir haben keinen Bock auf dieses Insta-Insta-uffda-uffda«

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Leben auf Kredit – und wer zahlt?

Sieben Tage, sieben Nächte

dpa/Sebastian Kahnert

Geschlossene Geschäfte, leere Fabriken, Ausgangssperren – die Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus werden die Wirtschaft hart treffen. Härter als die große Finanzkrise ab 2008, sagen Experten, und vermutlich haben sie recht. Worin besteht derzeit das Problem der Wirtschaft und vor allem einer kapitalistischen Wirtschaft? Das kann man anhand eines Beispiels verdeutlichen, das vereinfacht ist, aber auch in komplizierteren Varianten seine Logik nicht verändert.

Nehmen wir an, eine Wirtschaft besteht aus drei Berufsgruppen. Gruppe 1 backt das Brot, Gruppe 2 frisiert die Menschen, Gruppe 4 baut Autos. Nun kommt das Virus. Die Personen aus Gruppe 2 und 3 können zu Hause bleiben, sie werden vorübergehend nicht benötigt. Gruppe 1 muss weiterarbeiten zur Versorgung der Menschen mit Brot. Die Produktionsmittel sind nicht das Problem, denn Öfen und Teigrührmaschinen stehen ja schon bereit. Sollte es krankheitsbedingt zu Bäckerknappheit kommen, müsste überlegt werden, wie Personen aus Gruppe 2 und 3 aushelfen können. So weit das materiell-technische Problem der Versorgung.

Nun zum kapitalistischen Problem: Das herrschende Wirtschaftssystem basiert auf Tausch und damit auf Geld. Folge: Bleiben Gruppe 2 und 3 wegen des Virus zu Hause, haben sie keine Einnahmen. Daher können sie auch kein Brot mehr kaufen. Daraufhin gehen die Bäcker pleite und produzieren nicht mehr. Das absurd anmutende Ergebnis ist, dass alle ruiniert sind, obwohl gesamtgesellschaftlich alles da ist: die Maschinen zur Produktion, die Arbeitskräfte, und sogar das Geld ist irgendwo, was allerdings nichts hilft, da die Kette der Zahlungsvorgänge unterbrochen ist. Geld, so heißt es immer, eröffnet den Zugang zu allen Waren. Das bedeutet aber umgekehrt: Fließt es nicht, sind alle von den Gütern des Lebens ausgeschlossen.

Nun kommt der Staat ins Spiel: Er borgt sich das brachliegende Geld oder schafft es selbst, indem er seine Zentralbank Geld drucken lässt. Dieses Geld gibt der Staat weiter als Kredit oder als Geschenk (»Helikoptergeld«) an Friseure, Autobauer und Bäcker. Oder er leiht es den Banken, die es ihrerseits weiterverleihen an die Wirtschaftssubjekte. Mit dieser Zahlungsfähigkeit ausgestattet, können sie weiter kaufen, produzieren und konsumieren. Der Staat umgeht damit vorübergehend den kapitalistischen Zwang, dass man etwas verkaufen muss, um an Geld zu kommen, mit dem man dann einkaufen kann und dem Verkäufer dadurch einen Profit einspielt. Das macht der Staat so lange, bis die Wirtschaft wieder »läuft«. Dann allerdings haben sich die Schulden der Gesellschaft vervielfältigt – alle haben Kredite aufgenommen, die zurückgezahlt werden müssen. Und dann liegt irgendwann die heiße Frage auf dem Tisch: Wer zahlt?