
Zuviel Panik, zuwenig Betten: Das Gesundheitssystem ist zugrunde gespart worden. Das rächt sich während der Pandemie
Im vergangenen Jahr, als der Kapitalismus noch gesünder wirkte, hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlicht: »Jedes zweite Krankenhaus ist überflüssig«. Es gebe »Potential für eine Verringerung der Klinikanzahl«, »rund ein Viertel« der Patienten müsse gar »nicht stationär versorgt werden«. Heute, nach dem Ausbruch des SARS-CoV-2-Virus und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass Krankheiten gefährlich sein können, nimmt sich der Text wie das wahnwitzige Machwerk durchgeknallter Marktradikaler aus. Doch ein Ausrutscher war das nicht, der Thinktank haut solche Appelle reihenweise heraus – alleine 2019: »Überversorgung schadet den Patienten«, »In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser«, oder »Überversorgung wird zum Problem«.
Weil Ideologen wie die Bertelsmänner den Takt angeben, weil das Kapital um jeden Preis profitieren will, haben wir diese ganze Scheiße am Hals. Weil »Hartz IV« und »Agenda 2010« dieses Land in einen Schlachthof für Anstand und Würde verwandelt haben, sind Ehrenamtliche für Teile der Grundversorgung zuständig. Und weil niemand über die Tragweite einer Entsolidarisierung wie jener der letzten Jahrzehnte nachgedacht hat, braucht es nur einen winzigen Erreger, um 1,6 Millionen bedürftige Tafel-Nutzer ins blanke Elend zu stürzen: »Tafeln schließen wegen der Ausbreitung des Coronavirus«, lautete die Meldung am Freitag.
Wenn die Krankenhäuser nicht mehr tun können, wofür sie erfunden wurden, übernimmt die Armee, die ihr Image aufzupolieren hat. Die Bundeswehr beginne »erste Amtshilfe für das zivile Gesundheitswesen«, hieß es ebenfalls am Freitag. Denn die Truppe »verfüge über besondere Fähigkeiten«, die zum Einsatz kommen könnten, »wenn zivile Stellen überfordert sind«. Dass diese das sein werden – dafür ist alles getan worden, mit pseudowissenschaftlichem Gütesiegel von Bertelsmann und Co.
Während sich der Extremföderalismus als das Hinkebein des deutschen Kapitals erweist – in Kleinkleckersdorf wird Quarantäne verhängt, in Großkleckersdorf derweil Kirmes gefeiert –, zeigt sich die BRD nur in ihrer Kernkompetenz als ideeller Gesamtkapitalist uneingeschränkt handlungsfähig. »Bundesregierung sagt Kredite ohne Begrenzung zu.« Ob eine Schule zugemacht wird, bleibt hingegen Landräten und Bezirksbürgermeistern überlassen.
Anstatt zu tun, was helfen würde – bundesweite Schulschließungen, die Kinder für drei Wochen nach Hause holen, dabei volle Lohnfortzahlung für alle Arbeiter und Angestellten (und wenn es ein paar verdammte Milliarden kostet!) – haben wir ein Flickwerk an teils sinnlosen, teils widersprüchlichen Maßnahmen. Es rangeln zwei Fraktionen im Herrschaftsapparat, die Notstandsplaner und Bundeswehr-im-Innern-Fans auf der einen, die eiskalte Wirtschaftslobby in banger Sorge um Profit auf der anderen Seite. Nur an die Gesundheit der Menschen wird in diesem armen, reichen Land zuletzt gedacht.